Der Patient
einen Durchbruch benötige ich Sie. Ich weiß, dass ich die Patientin identifizieren kann, die mit Rumpelstilzchen in Verbindung steht, aber nicht aus eigener Kraft, und ich glaube, dass besagte Patientin zu derselben Zeit bei mir in Behandlung war wie ich bei Ihnen in der Analyse. Ich muss die Frau bei unseren Sitzungen erwähnt haben. Ich brauche demnach einen Resonanzboden. Jemanden, von dem diese Erinnerungen sozusagen widerhallen. Ich bin sicher, dass ich den Namen aus dem Unterbewusstsein hervorkramen kann.«
Dr. Lewis nickte wieder. »Eine ganz vernünftige Bitte und offensichtlich ein kluger Ansatz. Der Ansatz des Analytikers. Reden heilt, Handeln nicht. Klinge ich grausam, Ricky? Ich denke, ich bin mit zunehmendem Alter aufbrausend und allzu direkt geworden. Natürlich helfe ich Ihnen. Allerdings scheint es mir angeraten, während wir die Vergangenheit sezieren, besser auch die Gegenwart im Auge zu behalten, denn am Ende werden Sie die Antworten sowohl in Ihrer Vergangenheit als auch in Ihrer Gegenwart finden müssen. Vielleicht auch in Ihrer Zukunft. Sehen Sie sich dazu in der Lage?«
»Ich weiß es nicht.«
Bei dieser Antwort spielte ein unangenehmes Grinsen um Dr. Lewis’ Lippen. »Schon wieder die klassische Reaktion eines Analytikers. Ein Fußballspieler oder Rechtsanwalt oder moderner Geschäftsmann hätte gesagt: ›Und ob ich das verdammt noch mal kann!‹ Unsere Spezies dagegen behält sich immer ein Hintertürchen offen, nicht wahr? Wir können schlecht mit Gewissheiten leben, habe ich Recht?« Er holte tief Luft und verlagerte sein Gewicht. »Das Problem ist nur, dass dieser Kerl, der Ihren Kopf auf dem Tablett serviert haben will, wesentlich entschlussfreudiger ist, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Ricky prompt. »Er scheint alles genau geplant und durchdacht zu haben. Ich habe den Eindruck, dass er jeden meiner Schritte im Voraus kalkuliert und in seinen Plan mit einbezogen hat.«
»Das wird zweifellos so sein.«
Ricky nickte zur Bekräftigung, und Dr. Lewis fuhr mit seinen Fragen fort.
»Würden Sie sagen, er verfügt über psychologischen Scharfsinn?«
»Ich habe den Eindruck, ja.«
Dr. Lewis nickte. »Das ist bei manchen Spielen das Entscheidende.Beim Fußball zum Beispiel. Ganz sicher auch beim Schach.«
»Sie meinen …«
»Um ein Schachspiel zu gewinnen, müssen Sie weiter planen als Ihr Gegner. Dieser eine entscheidende Zug, den Sie ihm voraus haben, führt zum Schachmatt und zum Sieg. Ich denke, Sie sollten das Gleiche tun.«
»Und wie soll ich …«
Dr. Lewis stand auf. »Das sollten wir über einem bescheidenen Essen und im Verlauf des Abends herausfinden.« Er lächelte wieder, diesmal mit einem kaum merklichen sarkastischen Zucken um die Mundwinkel. »Natürlich setzen Sie einen wichtigen Faktor voraus.«
»Der wäre?«, fragte Ricky.
»Na ja, es sieht ganz so aus, als hätte dieser Rumpelstilzchen das, was da mit Ihnen passiert, Monate, wenn nicht sogar Jahre im Voraus geplant. Es ist eine Rache, die viele Faktoren in Betracht zieht, und wie Sie ganz richtig bemerkt haben, hat er praktisch jeden Ihrer Schritte vorausgesehen.«
»Ja, nur zu wahr.«
»Dann frage ich mich«, sagte Dr. Lewis bedächtig, »wieso Sie davon ausgehen, dass er mich nicht längst vor seinen Karren gespannt hat, vielleicht mithilfe von Drohungen oder sonstigen Druckmitteln, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Vielleicht hat er mich ja auch irgendwie gekauft. Woher nehmen Sie die Überzeugung, Ricky, dass Sie mich bei der ganzen Sache auf Ihrer Seite haben?«
Statt auf Rickys Antwort zu warten, forderte der alte Psychoanalytiker ihn mit einer ausladenden Geste auf, ihm in die Küche zu folgen, in die er sich jetzt mit seinem leicht hinkenden Gang begab.
Auf dem antiken Doppelplattentisch in der Mitte der Küche war für zwei Personen gedeckt, und ein Krug mit Eiswasser sowie ein Weidenkörbchen mit Weizenbrot standen dazwischen. Dr. Lewis ging zum Herd und holte einen Schmortopf aus der Röhre, den er auf einen Untersetzer stellte, und nahm dann einen bescheidenen Salat aus dem Kühlschrank. Er summte leise vor sich hin, während er den Tisch fertig deckte. Ricky erkannte ein paar Mozartmelodien.
»Nehmen Sie Platz, Ricky. Das da ist Hühnchen. Bitte greifen Sie zu.«
Ricky zögerte. Er griff zuerst nach dem Krug, goss sich ein großes Glas Wasser ein und trank es so hastig aus, als hätte er gerade die Wüste durchquert. Sein schlimmster Durst war gelöscht.
»Und? Hat er?«, fragte er
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