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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dass er einmal getötet hat und es daher durchaus ein zweites Mal tun kann. Und dabei handelt es sich, wenn ich das so freimütig sagen darf, Ricky, um völlig kaltblütige Morde, die ihm ein Leichtes sind. Die Opfer bedeuten ihm nichts. Die sind einfach nur Mittel zum Zweck, um Sie dahin zu bekommen, wo er Sie haben will. Und diese Morde haben den zusätzlichen Vorteil, dass kein FBI-Agent oder Polizist auf der Welt, kein Maigret oder Hercule Poirot, keine Miss Marple oder eine von Mickey Spillanes oder Robert Parkers Geschöpfen sie je wird auflösen können. Überlegen Sie mal, Ricky, denn das Ganze ist wirklich teuflisch und außerordentlich existenziell: In Paris, Guatemala City oder Bar Harbor in Maine geschieht ein Mord. Es passiert völlig unerwartet, spontan, und es trifft das Opfer absolut unvorbereitet. Es wird ganz einfach von einer Sekunde zur anderen ausgelöscht. Wie vom Blitz getroffen. Dabei befindet sich die Person, die unter diesem Mord leiden soll, tausende Meilen weit weg. Der Albtraum für jede Polizeibehörde, die erst einmal Sie ausfindig machen müsste, um dann dem Mörder auf die Spur zu kommen, der irgendwann in Ihrer Vergangenheit zu dem geworden ist, was er ist, und schließlich dieses Geschehnis in irgendeinem fernen Land, mit all den bürokratischen und diplomatischen Komplikationen damit in Verbindung bringen müsste. Vorausgesetzt, sie finden den Mörder überhaupt.
    Wahrscheinlich hat er sich so hinter der einen oder anderen falschen Identität verschanzt und so viele falsche Fährten gelegt, dass das unmöglich ist. Die Polizei hat selbst dann noch genug Probleme, wenn sie über DNS-Analysen und Augenzeugen verfügt. Nein, Ricky, ich würde davon ausgehen, dass sie mit so einem Verbrechen vollkommen überfordert wäre.«
    »Wollen Sie demnach sagen …«
    »Ihnen bleibt, wie mir scheint, eine relativ einfache Wahl: Können Sie gewinnen? Können Sie in den wenigen Tagen, die Ihnen noch bleiben, die Identität dieses Mannes namens Rumpelstilzchen herausbekommen? Und falls nicht, werden Sie sich dann selbst das Leben nehmen, um es jemand anderem zu retten? Das ist die faszinierendste Frage, die man einem Arzt stellen kann. Schließlich ist es unser Metier, Leben zu retten. Wozu wir natürlich normalerweise auf Medikamente, ärztliches Können und Geschick mit dem Skalpell zurückgreifen. In diesem Fall ist vielleicht Ihr Tod die Rettung für jemand anderen. Sind Sie zu diesem Opfer bereit? Und, falls nicht, können Sie sich danach noch in die Augen sehen? Zumindest oberflächlich betrachtet ist es nicht allzu kompliziert. Kompliziert wird es erst, nun ja, innerlich.«
    »Wollen Sie also sagen …« fing Ricky an und stotterte ein wenig. Er blickte zu dem Analytiker hinüber und sah, dass der alte Kollege sich zurückgelehnt hatte, so dass der Lichtkegel von einer Tischlampe sein Gesicht in zwei Hälften schnitt. Dr. Lewis gestikulierte mit einer vom Alter klauenhaft langen Hand und knorrigen Fingern.
    »Ich will damit gar nichts sagen. Ich weise nur darauf hin, dass das, was dieser Herr von Ihnen verlangt, eine Möglichkeit ist, die in Betracht gezogen werden muss. Es kommt laufend vor, dass jemand sich opfert, damit jemand anders amLeben bleibt. Soldaten in der Schlacht. Feuerwehrleute in einem brennenden Gebäude. Polizisten in den Großstädten. Ist Ihr Leben so lebenswert und so produktiv und so wichtig, dass wir es automatisch höher einstufen dürfen als das Leben, das es vielleicht kostet?«
    Ricky rutschte auf seinem Sessel hin und her, als wäre die Polsterung unter ihm plötzlich steinhart. »Ich kann nicht glauben …«, fing er an, sprach den Satz aber nicht zu Ende.
    Dr. Lewis zog die Schultern hoch und sah ihn an. »Tut mir leid. Natürlich haben Sie diese Variante nicht bewusst erwogen. Ich frage mich nur, ob Sie sich diese Fragen nicht längst in Ihrem Unterbewusstsein gestellt haben, weshalb Sie folgerichtig zu mir gekommen sind.«
    »Ich suche Hilfe«, sagte Ricky ein wenig zu prompt. »Ich brauche Ihre Hilfe, um dieses Spiel zu spielen.«
    »Wirklich? Auf einer Ebene vielleicht. Auf einer anderen sind Sie vielleicht wegen etwas ganz anderem gekommen. Um meine Erlaubnis einzuholen? Meinen Segen?«
    »Ich muss den Abschnitt in meiner Vergangenheit ausloten, in dem Rumpelstilzchens Mutter bei mir Patientin war. Und dazu brauche ich Sie, denn ich habe diesen Abschnitt irgendwie verdrängt. Er scheint dicht unter der Oberfläche zu liegen, aber ich komme nicht dran. Für

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