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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hörte sie Michel sagen. «Stell dir vor, Mutter, der Daniel hat einen Hasen geschossen, und Äpfel und Birnen haben wir unterwegs auch gesammelt.»
    «Du hast recht. Da stehn wir hier im Hof herum, als hätten wir kein Haus mit Tisch und Bänken und einem warmen Herd.» Ihr Blick fiel auf Michels bloße Füße unter seinem Leinenkittel, die schon rot vor Kälte waren.
    «Du hast ja nicht mal Schuhe an!»
    «Die hat jetzt der Eli. Mir sind sie zu eng. – Ich bin nämlich ganz viel gewachsen!», fügte er stolz hinzu.
    Benedikt hob ihn in die Höhe und setzte ihn sich auf die Schultern. «Du Prahlhans! Und jetzt rein mit euch ins Warme.»
    «Ach herrje!» Clara schlug sich gegen die Stirn. «Ich hab ganz vergessen, den Haferbrei zu kochen.»
    «Lass nur.» Johanna nahm ihre Mutter bei der Hand und führte sie hinter den ausgelassenen Kindern ins Haus zurück. «So schnell verhungern wir nicht. Du ruhst dich aus, ich mach das Essen.»
    So voller Leben war ihre kleine Küche schon lange Zeit nicht mehr gewesen. Während sich Johanna sogleich am Herd zu schaffen machte und Benedikt zu trinken einschenkte,zwängte sich Clara zwischen Daniel und ihren Kindern an den Tisch.
    «So hört doch einmal her», versuchte sie den Tumult zu übertönen. Dabei blieb ihr Blick an ihrem Ältesten haften. «Ihr müsst leise sein, wir haben nämlich Besuch, und der schläft.»
    «Wer soll das sein?», fragte Benedikt verwundert.
    «Die Engel haben uns jemanden geschickt.» Sie holte tief Luft. «Du wirst es nicht glauben, Benedikt – es ist Esther.»
    Der Lärm rundum verstummte. Benedikt erbleichte, für kurze Zeit sprach niemand ein Wort.
    Schließlich fragte der kleine Jossele: «Wer ist Esther?»
    «Unsere Schwester, du Dummkopf!», entgegnete Eli. «Sie ist vom Himmel zurückgekommen, mit den Engeln. Ist sie jetzt durchsichtig?», fragte er Clara.
    «Nein, mein Kleiner. Sie war nicht im Himmel droben, nur ganz weit weg.»
    «Wo ist sie?» Benedikt brachte nur ein heiseres Krächzen heraus.
    «Oben in deiner Kammer. Geh nur hinauf, aber sei leise.»
    Clara sah ihm nach, wie er mit wankenden Schritten die Küche verließ. Von dem Kind hatte sie ihm nichts gesagt. Dabei war sie sich inzwischen sicher, dass die kleine Lea ihre Enkelin war.
     
    Es dauerte einen Augenblick, bis sich Benedikts Augen an das Halbdunkel in seiner Schlafkammer gewöhnten. Er kniete vor dem Bettrand nieder. Sein ganzer Körper zitterte. Esther hatte sich die Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen, ihr Haar breitete sich in dunklen Wellen über dem Kopfkissen aus. Sie schlief.
    Benedikt wagte nicht, sie zu berühren. Da bewegte sichetwas neben ihr unter der Decke, doch es war nicht Esther. Ein winziges Gesicht wandte sich ihm zu, mit großen, offenen Augen.
    Im Halbschlaf zog Esther den Säugling fester an sich. «Schlaf noch ein bisschen, meine Kleine.»
    Benedikt war fassungslos. Die Frau, die er liebte und die er tot gewähnt hatte, war wieder bei ihm. Lebendig und aus Fleisch und Blut lag sie vor ihm, und sie hatte ein Kind! Er streckte die Hand nach dem Säugling aus.
    «Esther», flüsterte er dabei, und es klang fast wie eine Frage. Sie erwachte und sah ihn an. Stumm tastete sie nach seiner Hand und hielt sie fest umklammert.
    «Esther», wiederholte er, setzte sich an den Bettrand und barg seinen Kopf an ihrer Schulter. Er roch den vertrauten Duft ihrer Haut, spürte die Wärme ihrer Hand in seiner. Endlich begann er zu weinen.
    So verharrten sie dicht beieinander, Benedikt, Esther und das Kind, bis der Säugling zu wimmern anfing. Benedikt richtete sich auf.
    «Du bist mir so oft erschienen, tags wie nachts, und ich dachte immer, aus dem Totenreich. Und jetzt bist du leibhaftig bei mir und lebst – wie kann das alles sein?»
    «Das erzähle ich dir später.» Sie legte sich das Kind an die Brust. «Ich bin so froh, bei dir zu sein, Benedikt.»
    Verwirrt und glücklich zugleich beobachtete er, wie der kleine Mund an Esthers Brust zu saugen begann.
    «Aber – warum hast du plötzlich ein Kind?»
    Esther lächelte. «Das musst du dich schon selber fragen!»
    «Mein Kind?»
    «Ja. Deine Tochter Lea. Unsere Tochter. Und sie sieht dir jetzt schon ähnlich.»

Kapitel 36
    S chneller als erwartet fand die geisterhafte Stadt wieder ins Leben zurück. Die gelben Pestkreuze an beinahe jedem dritten Haus waren entfernt, aus den Werkstätten war wieder der Taktschlag der Arbeit zu vernehmen, und noch vor Wintereinbruch wurden die beschädigten oder aufgelassenen

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