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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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herab öffentlich Widerruf leisten.»
    «Ich hab es geahnt. Der alte Tucher kann alles erkaufen, sogar Gerechtigkeit. Wahrscheinlich wird er den armen Würzkrämer auch noch wegen Ehrverletzung anzeigen.»
    «Mutter – muss ich den Meinwart jetzt heiraten?»
    «Nein. Niemals. Ich werde mit deinem Vater sprechen. Lieber zahlen wir die drei Pfund Silber.»
    «Drei Pfund Silber? Dafür kriegt man ja ein Pferd!»
    Wider Willen musste Clara lachen. «Da siehst mal, wie viel du uns wert bist.»
     
    Auf der Kirchenbauhütte hatte der Alltag wieder Einzug gehalten. Der rhythmische Klang der Spitzeisen und Schmiedehämmer, das Ächzen der Ochsenkarren, das Quietschen der Seilwinden, die Schläge der Zimmerer, die die Holzstämme für Gerüste und Arbeitsbühnen beilten – das alles vermischte sich mit dem Gesang der Werkleute bei der Arbeit, mit ihren Scherzworten und Flüchen. Hunde stromerten herum auf der Suche nach Essensresten, gegen einen Obolus spielten Fiedler und Pfeifer auf. Hie und da lenkten Hübschlerinnen, die sich durch ihre kurzen Mäntel zu erkennen gaben, die Männer von der Arbeit ab und versprachen ihnen schöne Stunden nach Feierabend. Anderswo beobachteten neugierige Kinder, wie die Teile eines Maßwerkfensters auf dem Boden zusammengelegt wurden, bevor das Tretrad im Innern des Turms sie in die Höhe hievte. Auch Eli und Jossele kamen manchmal hier heraus, an der Hand ihres großen Bruders, um den Steinmetzen staunend bei der Arbeit zuzusehen.
    Wie alle anderen hatte Benedikt seine Arbeit unter freien Himmel verlegt. Nach den stillen Wintertagen genoss er das bunte und laute Leben rundum, am Fuße der Kirche aus diesem wunderbaren farbigen Gestein, das je nach Licht und Tageszeit bald feierlich und unnahbar in ernstem Rotbraun schimmerte, bald in warmer gelblicher Tönung, wie jetzt in der Frühlingssonne.
    Die Büste mit dem Antlitz Esthers, an der er den Winterüber gearbeitet hatte, hatte er so gut wie fertig. Nur das offene Haar, in das er einen Blumenkranz eingearbeitet hatte, lag ihm noch nicht locker genug. Er dachte an vergangene Woche, als Meister Johannes auf die Bauhütte zurückgekehrt war und ihn bei der Arbeit daran überrascht hatte.
    «Sag bloß, Benedikt – sitzt du an deinem Meisterstück?», hatte er gelacht und ihn mit kräftigem Handschlag begrüßt. Dann war er näher getreten, hatte die Augen zusammengekniffen und eine ganze Weile lang geschwiegen.
    «Es ist noch nicht fertig», hatte Benedikt schließlich wie zur Entschuldigung vorgebracht.
    «Das ist wahrhaftige Künstlerarbeit!» Meister Johannes hatte ungläubig den Kopf geschüttelt. «Die feinen, lebendigen Züge, der Ausdruck in dem angedeuteten Lächeln: Es scheint zerrissen zwischen Glück und Melancholie.»
    Seine Fingerspitzen glitten über das Gesicht der Skulptur. Benedikt wollte etwas erwidern, doch das unerwartete Lob seines Meisters hatte ihm fast den Atem genommen.
    «Hör, Benedikt, wir könnten es für die neue Kapelle verwenden. Es an eine der Konsolen am Portal einfügen, als Maria Magdalena. Was hältst du davon?»
    Benedikt kämpfte mit sich. Endlich brachte er hervor: «Euer Urteil freut mich mehr, als ich ausdrücken kann. Und dass Ihr das Stück für die Kirche haben wollt, ehrt mich.» Er holte tief Luft. «Doch wenn Ihr erlaubt, Meister Johannes, würde ich es gerne selbst behalten.»
    «Das ist deine freie Entscheidung, Benedikt. Aber überleg es dir nochmal.»
    Jetzt, eine Woche später, fragte sich Benedikt, ob seine Entscheidung richtig war. Er hatte plötzlich das niederdrückende Gefühl, nie wieder so viel Inbrunst in die Gestaltung einerFigur legen zu können. Die ganzen Winterwochen über, an denen er an Esthers Büste gearbeitet hatte, hatte er sich so leicht gefühlt, war er der Freundin so nah gewesen wie ehedem in Kinderzeiten. Ja, mehr noch: Er hatte seinem Gefühl ganz und gar nachgeben dürfen, indem er ihr Ebenbild schuf, und das in der plötzlichen Zuversicht, dass ihm alles offenstand. Solange Esther an keinen Mann gebunden war, würde er die Hoffnung nicht aufgeben. Er würde sie lieben, ohne etwas von ihr zu erwarten, und als Zeichen seiner Liebe würde er ihr diese Skulptur schenken, sobald sie vollendet war.
    Doch warum vollendete er sein Werk nicht endlich, es fehlte doch nicht mehr viel? Womöglich, weil er gar nicht den Mut hatte, es Esther zu schenken? Zu Meister Johannes brauchte er dann auch nicht mehr zu gehen und sagen: Verehrter Meister, Ihr könnt die Skulptur nun

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