Der Pestengel von Freiburg
Grathwohlin», gab der Ritter zurück. «Nein, Meister Günther erfreut sich bester Gesundheit. Allerdings hatte ich ein paar Worte mit deinem Mann zu besprechen.»
«Liebe Frau, wärst du so freundlich, dem Herrn Schultheiß etwas Gebäck und Würzwein zu bringen? Johanna hat ihn schon heiß gemacht.»
«Aber gern.» Clara zwang sich zu einem Lächeln.
Als sie aus der Küche zurückkehrte, kniete der Schultheiß geradeauf den beiden Trittstufen des Waschtisches und hielt den Kopf mit dem schütteren Grauhaar über die Schüssel, während ihm Heinrich den restlichen Schaum aus dem Gesicht wusch. In dieser Haltung hatte der Ritter vollends jeglichen Anschein einer Respektsperson verloren, und sie musste an sich halten, nicht laut zu lachen.
Sie stellte Wein und Gebäckschale auf dem klobigen Stubentisch ab. Zuvor in der Küche hatte sie sich überlegt, ob sie Snewlin nach Meinwart ausfragen sollte, doch jetzt verwarf sie diesen Gedanken. Das Ganze war eine Familienangelegenheit, und sie wollte keine unangenehmen Gegenfragen auslösen. Oder war es womöglich genau das gewesen, was der Schultheiß mit ihrem Mann hatte bereden wollen?
«Ja, mein lieber Grathwohl», hörte sie ihn aus der Tiefe der Waschschüssel brummen, «ich habe es auch kaum glauben mögen, was diese beiden Handelsmakler mir gestern über die Levante erzählt haben.» Er wandte das Gesicht zur Seite und sprach in Claras Richtung weiter. «Von gewaltigen Erdbeben haben sie berichtet, in mehreren Ländern zugleich. Zur letzten Fastenzeit war das. Ganze Berge sind dabei eingesunken, riesige Seen aus dem Nichts entstanden, Mensch und Vieh haben die Fluten mit sich gerissen. Und dort, wo die Erde sich nicht aufgetan hat, ist sie in Trockenheit und sengender Hitze erstarrt, und die Menschen verhungern jetzt einer nach dem andern. Ich sage dir, Grathwohl, das ist eine Gottesstrafe. Und wer nicht blind ist, dem hat sie sich längst angekündigt, durch die höchst auffällige Konstellation der Gestirne. Der gute Behaimer, der ungemein firm ist in diesen Dingen, hat mir das im Übrigen bestätigt.»
Snewlins Vortrag ging in ein Gurgeln und Blubbern über, als Heinrich ihm ein letztes Mal mit einer Handvoll Wasser insGesicht fuhr. Dann reichte er ihm ein Tuch zum Abtrocknen, und der Ritter richtete sich ächzend auf.
«Jetzt straft Gott noch die ungläubigen Sarazenen im Morgenland, bald aber wird es auch uns treffen. Auch die Menschen hier fallen vom Glauben ab, erst recht, seitdem das Oberhaupt unserer heiligen Kirche nicht mehr in Rom residiert und mehr den weltlichen als den geistlichen Freuden frönt. Der Palast des Papstes in Avignon soll ja einem wahren Bordell gleichen!»
Clara nickte nur, während sie zwei Becher mit dem dampfenden Würzwein auffüllte.
«Ihr verzeiht, edler Herr Schultheiß, wenn ich mich wieder in die Küche zurückziehe. Ruft mich nur, falls Ihr noch Wünsche habt.»
Einige Zeit später hörte sie den Schultheiß davonstapfen, und Heinrich betrat die Küche.
«So allmählich kann ich all das Gerede von Giftregen und Erdbeben nicht mehr hören», knurrte er. «Die Leute machen sich noch ganz verrückt mit diesen Schauergeschichten aus Ländern, von denen sie nicht mal wissen, wo in aller Welt sie liegen. Sollen sich lieber um ihre armen oder kranken Nachbarn kümmern.»
«Und wenn nun doch etwas Wahres dran ist?»
«Fängst du auch noch an? Mein Vater hat immer gesagt: Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Jetzt mach lieber noch einen Kessel Wasser heiß, gleich ist der Spitalschaffner zum Balbieren dran.»
«Warte, Heinrich – was genau wollte der Snewlin mit dir bereden?»
Kurz verfinsterte sich Heinrichs Blick. «Nichts von Belang.»
«Dann kannst es mir auch sagen.»
«Ach, nur wieder der alte Grempel – dass ich zulasse, dassdu eigenmächtig Behandlungen unternimmst. Dass ihn sogar der Herr Bürgermeister darauf angesprochen hätt. Das kann nur auf Behaimers Mist gewachsen sein.» Er strich ihr über die Wange. «Du weißt, dass mich das nicht rührt.»
«Und von Meinwart – von Meinwart hat er nichts gesagt?»
«Nein, warum?»
«Er sitzt im Turm. Verdacht auf Betrug. Heinrich, wir sollten das ernst nehmen. Ich will nicht, dass unsere Tochter durch ihn ins Verderben stürzt.»
Clara entzündete die Tramlampe, dann warf sie ihrem Mann einen auffordernden Blick zu. Von draußen hörte sie einen Hahn krähen, mehrmals hintereinander, und sie fragte sich, ob da ein Marder oder ein
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