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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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doch haben!
    Er ließ sich auf seinen Schemel sinken und betrachtete das Teilstück der Synagogenfigur, an der er gerade arbeitete. Ihn fröstelte, und das Gegröle und Geschwätz seiner Arbeitsgenossen verdross ihn mit einem Mal. Nein, er würde nie ein guter Steinbildhauer werden, wenn ihm nur ein einziges Mal etwas Außerordentliches gelang. Er hatte nämlich längst erkannt, wie viel Mühe ihm derzeit die Arbeit an der Synagoge bereitete. Einen Rohstein hatte er bereits verpatzt beim Heraushauen des neuen Unterarms, und wenn ihm auch der zweite Versuch fehlschlug, würde Meister Johannes ihn erst gar nicht an die Figur selbst lassen. Dort hatte nämlich der dichte Haarschopf über der rechten Wange eine deutliche Blessur erlitten, und seine nächste Aufgabe würde sein, die schadhafte Stelle abzuschlagen und stattdessen die Wange weiter herauszuarbeiten. Mit einem neuen Farbauftrag würde der Schaden nicht mehr zu sehen sein.
    Missmutig starrte er auf die gezeichnete Vorlage, an die er sich zu halten hatte, auf diese strengen, ja bösen Gesichtszüge der Synagoge mit ihren herabgezogenen Mundwinkeln. Und da begriff er plötzlich, warum ihm diese Arbeit so sehr widerstrebte. Es war die ganze vermeintliche Schlechtigkeit des Judentums, die ihm da entgegenblickte.
    «Nein», murmelte er, und abermals: «Nein.»
    Selbst wenn er sich damit Ärger einhandeln mochte: Er würde dieser Figur ein anderes Gesicht geben.
     
    Benedikt war so in die Arbeit vertieft, dass er das Mittagsläuten überhört hatte.
    «He, Junge. Es ist Samstag. Die Woche ist vorbei.»
    Er sah auf. Vor seiner Werkbank stand der alte Daniel. Die andern hatten bereits ihre Gerätschaften verräumt und sammelten sich in kleinen Gruppen, um in die Badhäuser oder in den Schnabel zu marschieren, eine kleine Schenke gleich um die Ecke. Einige hatten mit ihrem Umtrunk schon an Ort und Stelle begonnen. Bis zum Abend würde so mancher seinen Taglohn versoffen oder gar einen gesamten Wochenlohn im Haus Zur Kurzen Freud gelassen haben, dem Frauenhaus in der Vorstadt.
    Benedikt legte ein Tuch über sein Werkstück und packte es in die mit Stroh ausgelegte Kiste unter der Werkbank.
    «Was ist, Benedikt – trinkst einen Schluck mit uns?»
    Der Geselle wies zu den Männern, die einen schweren Humpen umgehen ließen. Einer von ihnen stieß ein so dröhnendes Rülpsen aus, dass er anerkennendes Gelächter erntete.
    Benedikt schüttelte den Kopf. «Ein andermal.»
    «Hör mal», Daniels Stimme wurde leiser, «wir sind doch eine feste Gemeinschaft, hier auf der Hütte. Da kannst dichnicht so ausschließen, schon gar nicht als Meisterknecht. Ganz schnell wirst da sonst zum Vornehmtuer, und das ist schlecht für den Zusammenhalt. In die Badstuben bist auch schon ewig nicht mehr mit.»
    «Hast ja recht. Ich bring noch mein Werkzeug weg, dann komm ich. Aber nur auf einen Schluck.»
    Zwei Stunden später machte sich Benedikt auf den Heimweg. Die Sonne, die am wolkenlosen Himmel stand, wärmte bereits. Wieder einmal hatte er zu Hause das Essen versäumt, dazu stank sein Atem wahrscheinlich auch noch gotterbärmlich nach Bier! Seine Mutter würde schelten wie ein Rohrspatz. Da konnte er gleich ebenso gut einen Umweg über den Stadtgraben nehmen. An einem solchen Tag – auf einmal musste er lächeln – machte Esther mit den jüngeren Geschwistern dort sicher ihren Schabbatspaziergang.
    Vor ihm wankten zwei Burschen, die noch einiges mehr verkostet haben mussten als er selbst. Nachdem der eine, ein schlanker, hochgewachsener Kerl, ins Stolpern geraten war und lautstark fluchte, erkannte Benedikt an der Stimme, dass es Meinwart war. Ausgerechnet Meinwart! Dann hatte man diesen Kerl also wieder auf freien Fuß gelassen. Benedikt blieb stehen, um den Abstand zu vergrößern. Er hatte weiß Gott keine Lust auf eine Begegnung mit dem einstigen Freund, der nach der Arbeit stets mit anderen Lehrknechten und Gesellen in den Gassen herumlungerte, auf der Suche nach Weibern oder nach Streit.
    Doch zu Benedikts Überraschung verabschiedete sich Meinwart von seinem Kumpan. Der verschwand in einem schmalen Haus, über dessen Eingang der Laubkranz die geöffnete Trinkstube verriet, während Meinwart allein weiterschwankte, die Große Gass entlang, vorbei am herrschaftlichen Haus ZumRosbaum, in dem seine Familie wohnte. Nach einem kurzen Zögern bog er in die Schiffsgasse ab, wo sich sein Schritt beschleunigte. Unauffällig folgte Benedikt ihm, da dies ohnehin in seiner Richtung lag.

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