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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Fuchs sein nächtliches Unwesen in den Gärten trieb.
    Heinrich räusperte sich.
    «Ihr wisst nun also alle, was geschehen ist.» Er sah in die schweigsame Runde am Küchentisch. «Benedikt – du bist der Älteste. Sag freiheraus, wie du entscheiden würdest.»
    «Du musst zum alten Tucher und die Verlobung auflösen. Gleich morgen früh.»
    «Du weißt aber auch, dass ich dann unter Umständen die Hälfte der Mitgift schuldig bleibe.»
    «Aber doch wohl nicht, wenn einer die Ehre verwirkt hat.»
    «Das Urteil über ihn ist noch nicht gefällt, mein Junge. Du weißt ja: Gerechtigkeit fängt Fliegen und lässt die Hummeln durch.»
    «Ist das noch wichtig? Ich hätte dir schon vor zwei Jahren sagen können, dass Meinwart der Falsche ist für meine Schwester. Aber derzeit hattest du mich nicht gefragt.» Aus Benedikts Worten klang Bitterkeit. «Damals hast du nur gesehen, in welchangesehenes Haus Johanna einmal einheiraten wird. Was soll der Kerl noch alles anstellen, bis ihr begreift, aus was für einem Holz der geschnitzt ist?»
    «Na, na – zunächst einmal waren die Tuchers uns immer gute Nachbarn. Und Meinwart – war er nicht einmal dein bester Freund?»
    «Das ist lange vorbei. Vielleicht hab ich ihn auch nur bewundert, weil er der Ältere und Stärkere von uns beiden war. Und bei den andern immer die Nase vorn hatte. Ein Spitzbub war er seit jeher.»
    «Wie meinst du das?» Heinrich sah seinen Sohn erstaunt an, und Clara war nicht minder überrascht, wie hart Benedikt über seinen engsten Freund aus Kindertagen urteilte.
    «Den jüdischen Kindern hat er die besten Murmeln abgeluchst und dem Sohn des Wollschlägers, dem armen Kerl, sein nagelneues Steckenpferd. Mit irgendwelchen schäbigen Wetten, bei denen nur er selbst gewinnen konnte. Und dann hatte er da diese Angel, eine kleine Bleiplatte an einem Zwirnsfaden, die war mit Vogelleim beschmiert. Damit hat er in der Kirche aus dem Opferstock die Münzen gezogen.»
    «Davon hast du nie erzählt!»
    «Wenn er doch mein Freund war. Außerdem   …»
    «Außerdem hattest du Angst vor ihm», unterbrach ihn Johanna, die bislang geschwiegen hatte, leise. «Genau wie ich. Ich hab immer noch Angst vor ihm.»
    Plötzlich begann sie zu weinen.
    «Ach herrje!» Clara legte den Arm um ihre Tochter. Sie war ehrlich erschrocken. Warum nur hatte das Mädchen nie ein Wort gesagt? Gewiss, es war die Regel, dass die Eltern für ihre Töchter die Ehemänner auskundschafteten – aber wenn sie gewusst hätte, wie Johanna empfand, hätte sie der Heiratsabspracheniemals zugestimmt. Mit einem Mal machte sie sich Vorwürfe, dass auch sie selbst nur vor Augen gehabt hatte, welchen Einfluss die Tucherfamilie in der Stadt besaß, welch mannigfaltige Verbindungen in alle Richtungen.
    «Warum nur hast du nie etwas gesagt?», wiederholte sie laut.
    Johanna zuckte die Schultern und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    «Dann ist also beschlossene Sache», wandte Clara sich an ihren Mann, «dass du morgen zu den Tuchers gehst.»
    In diesem Augenblick geschah etwas Ungeheuerliches: Die irdene Schale der Lampe vor ihnen auf dem Tisch fing an zu zittern und zu hüpfen, erst leicht, dann immer heftiger, während es zu ihren Füßen, aus den Tiefen der Erde, dumpf zu dröhnen anhob. Michel und Johanna stießen einen Schrei aus, auch aus den Nachbarhäusern drangen gellende Angstschreie herüber, und Clara starrte ungläubig auf den Türrahmen, der sich unter Ächzen und Knarren verbog. Sie sprang auf, riss die schlafende Kathrin aus ihrer Wiege, presste sie schützend an ihre Brust. Noch zwei, drei Male wölbte sich der Boden unter ihnen, wand und streckte sich wie der Rücken eines riesigen Tieres, dann war der Höllenspuk vorüber.
    «Das Jüngste Gericht», entfuhr es Johanna, und sie begann wieder zu weinen.
    «Ihr bleibt hier», befahl Heinrich und stürzte hinaus auf die Straße. Drang durch die offene Tür nicht seltsamer Schwefelgeruch von den Gassen herein? Niemand sprach ein Wort, bis der Vater zurückkehrte.
    «Es ist alles gut», versuchte Heinrich sie zu beruhigen. «Ein kleines Erdbeben, nichts weiter. Bei den Nachbarn sind ein paar Ziegel von den Dächern gerutscht, sonst gibt es keine Schäden.»
    Aber Clara beschlichen Zweifel, dass dies alles gewesen sein sollte. Ergaben jetzt nicht die vielen Gerüchte neuen Sinn? Was, wenn nun über die ganze Welt eine unbekannte Gefahr heraufzog?

Kapitel 4
    A nderntags war die Stadt in heller Aufregung. In dichten Trauben sammelten sich

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