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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Stadtwächter in ein Seitengässchen ab. Moische straffte die schmalen Schultern und sprach mit fester Stimme über die leere Gasse hinweg: «Wie du getan hast, wird dir getan werden; deine Taten fallen auf dein Haupt zurück.»
    Er wirkte verwirrt und begann zu singen.
    «Komm, Moische, ich bring dich nach Hause.» Clara hob seinen Hut auf und nahm ihn beim Arm. «Vielleicht solltet ihr wirklich baldmöglichst nach Straßburg aufbrechen.»
     
    Benedikt lag reglos auf dem Bett und starrte in die Dunkelheit. Neben sich vernahm er den ruhigen Atem von Michel. Es wurde immer schlimmer rundum, die ganze Welt schien sich in ein Narrenhaus zu verwandeln. Vor wenigen Tagen, zu Weihnachten, hatten Baseler Bürger den jüdischen Friedhof, derwie überall draußen vor der Stadt lag, vollkommen verwüstet. Nicht mal die Totenruhe war ihnen mehr heilig, und etliche Juden waren aus Angst um Leib und Leben aufs Land hinaus geflohen. Gestern nun hatte ein Wanderprediger unter dem Beifall der versammelten Menge hier mitten auf der Marktgasse den Talmud verbrannt – voll übler Gotteslästerungen sei dieser und müsse vernichtet werden, gerade so wie dieses verworfene Volk von Ungläubigen.
    Wo Bücher brannten, hatte Benedikt sich gedacht, brannten vielleicht bald auch die Menschen. Und hier in Freiburg traute man den Hebräern inzwischen alles zu. Geweihte Hostien würden sie rauben und mit Messern und Nägeln martern, bis sie bluteten wie einst der Leib Christi. Kleine Kinder würden sie morden, um deren Blut bei ihren geheimen Riten aus schwarzen Kelchen zu trinken oder daraus ungesäuertes Brot für Pessach herzustellen. Nur noch solcherlei dummes Zeug war auf den Gassen zu hören, und es rührte einzig und allein daher, dass niemand die Juden und ihre Bräuche wirklich kannte. Sonst wüsste man nämlich, dass es für diese Menschen keinen größeren Gräuel gab als den Genuss von Blut. Neulich hatte Clewi, der Weißbäcker, sogar tatsächlich behauptet, die Hebräer hätten seinen Jüngsten entführt und gemordet, um Herz und Blut zu opfern. Bis zwei Tage später herausgekommen war, dass er den Jungen versteckt gehalten hatte, um einen Aufruhr unter den Bürgern anzuzetteln. Das Entsetzliche in Benedikts Augen war: Alle Welt hatte diese Lügengeschichte geglaubt, und Clewi war hierfür nicht einmal betraft worden.
    Wie verblendet die Menschen waren! Inzwischen ging auch in Freiburg das Gerücht, dass die Juden jegliche Brunnen und Bäche der Stadt mieden – was ein klarer Beweis dafür sei, dass sie längst dabei waren, die Brunnenwasser zu vergiften. Dabeihatte es noch keinen einzigen Krankheitsfall gegeben. Manchmal konnte Benedikt es kaum fassen: Binnen kürzester Zeit waren die Juden ihren Mitbürgern zu leibhaftigen Ungeheuern geworden, die der Habgier und der Schacherei frönten, die dem Leibhaftigen ihre Seele verpfändeten, deren Synagogen Heimstätten des Bösen waren. Diese Glut der Dummheit wurde im Gottesdienst von Pfarrer Cunrat und seinen geistlichen Kollegen mit ihren Hetztiraden noch weidlich angefacht.
    Jedes Mal, wenn Benedikt an Esther und ihre Familie dachte, war er vor Angst wie gelähmt. Ihm ging es längst nicht mehr um diese unselige Hochzeit, die nun, da das jüdische Lichterfest vorüber war, demnächst stattfinden sollte. Denn auch in Straßburg, genau wie anderswo, würden die Judenviertel bald brennen. Hatte er noch vor einigen Wochen ernsthaft daran gedacht, zum jüdischen Glauben überzutreten und Moische auf Knien anzuflehen, die Hochzeit zu verhindern und ihm Esther zur Frau zu geben, so gab es jetzt nur noch eine einzige Lösung: Er musste mit Esther fliehen, ganz gleich, wohin, ganz gleich, wie weit. Und sie hatten keine Zeit zu verlieren!
    Heute Nachmittag hatte er ihr heimlich über Aaron eine Nachricht zukommen lassen und betete nun, dass Aaron sich als sein Freund, nicht als künftiges Familienoberhaupt verhalten und ihr sein Schreiben weitergeben würde. In eindringlichen Worten hatte er sie darin angefleht, sie möge morgen nach Einbruch der Dunkelheit zur Schlafstube ins Gesellenhaus kommen, es gehe um Leben und Tod. Und sie möge sich gut verhüllen, auf dass niemand sie auf der Gasse erkannte.
    Nun blieb ihm nichts weiter übrig, als diese Nacht hinter sich zu bringen und zu hoffen, dass sie kam. Seine rasenden Herzschläge hinderten ihn einzuschlafen, er lauschte auf jedesKnacken, jedes Rascheln im Haus, schwitzte trotz der eisigen Kälte, die in der kleinen Kammer herrschte. Er

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