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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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glühenden Kohle. Esther hatte die ganze Zeit an der Tür gewartet und ihn beobachtet. Jetzt trat er zu ihr und zog ihr die Kapuze aus dem Gesicht. Wie lange schon waren sie sich nicht mehr begegnet, wie gern hätte er sie jetzt in die Arme genommen. Stattdessen murmelte er nur:
    «Danke, dass du gekommen bist. Dann hat dir Aaron also meine Botschaft übergeben.»
    Sie schwieg. Um ihre Mundwinkel zuckte es, als wolle sie etwas sagen. Verlegen wies Benedikt auf sein Bett.
    «Setz dich doch.»
    Sie schüttelte den Kopf. «Aaron wartet auf mich, drüben, beim Brunnen. Warum also hast du mich hergebeten?»
    Plötzlich überkam ihn die ganze Verzweiflung der letzten Wochen. Er nahm sie bei den Händen und hielt sie so fest umklammert, dass Esther leise aufschrie.
    «Du darfst nicht nach Straßburg gehen», stieß er hervor. «Dort wird es kommen wie überall. Bitte, Esther, ich will dich nicht verlieren.»
    «Das mit Uri ist beschlossene Sache.»
    «Nein, nein, das meine ich nicht. Dein Leben, euer aller Leben ist in Gefahr.» Er holte tief Luft. «Lass uns fortgehen von hier. Weit fort.»
    «Du bist verrückt geworden.»
    Er schob sie aufs Bett und zog die Karten mit den Wegenetzen aus der Kiste hervor. Mit fahrigen Händen breitete er alles neben ihr aus.
    «Hier, schau! Es gibt zwei Möglichkeiten: Wir gehen nach Osten, in die Königsstadt Krakau, wo die Juden geschützt und gefördert werden. Oder nach Süden, ins Königreich Granada. Dort leben die Juden und Sarazenen seit ewigen Zeiten friedlich zusammen. Das weiß ich von deinem Vater.»
    «Du bist verrückt», wiederholte sie nur. «Vollkommen meschugge.»
    «Ich hab alles durchdacht. Es ist zu schaffen. Für den Anfang hab ich genug Geld.»
    «Ich gehe nirgendwohin mit dir. Ich würde meine Familie nie im Leben verlassen.»
    «Dann geht alle zusammen! Sprich mit deinem Vater. Es istnur eine Frage der Zeit, bis hier dasselbe geschieht wie in Bern oder Stuttgart oder sonst wo.»
    «Das ist Unsinn. In Straßburg sind wir sicher. Straßburg ist freie Reichsstadt und untersteht damit König Karl. Und der hat erst im letzten Jahr den Straßburger Juden einen umfänglichen Schutzbrief ausgestellt.»
    «Aber begreifst du denn nicht? Solche Schutzbriefe gab es vielerorts, und keine Seele hat sich drum geschert. Wollt ihr alle diesen Mordbrennern zum Opfer fallen?»
    Esther schob die Papiere zusammen und erhob sich. «Ich muss zurück.»
    «Warte noch.» Er war ebenfalls aufgesprungen und zog die steinerne Büste unter der Bettlade hervor. Vorsichtig stellte er sie neben die Lampe auf den Schemel. Der Buntsandstein schimmerte nun in warmer Ockertönung. «Das hab ich für dich gemacht.»
    «Das – das bin ja ich!» Plötzlich wich der kühle Ausdruck in ihrem Gesicht einem Lächeln.
    «Ja. Gefällt es dir?»
    Ihre Augen glänzten, als sie nickte.
    «Wir lassen die Büste hier, der Stein ist zu schwer für die Reise. Das ist dann wie ein Versprechen. Dafür, dass du eines Tages hierher zu mir zurückkommst.»
    «Ach Benedikt, quäl mich doch nicht so. Ich werde Uri heiraten.» Sie wirkte verzweifelt. Das feine Lächeln auf ihrem Gesicht war verschwunden.
    Benedikt starrte die Skulptur an.
    «Ist das dein letztes Wort?»
    «Ja.»
    «Wann brecht ihr also auf?»
    «Zwei Tage nach Sankt Silvester.»
    Benedikt zählte nach. Das war bereits in fünf Tagen!
    «Wenn du nach Straßburg gehst, dann gehe ich auch dorthin. Ich will in deiner Nähe sein, wenn etwas Schlimmes geschieht.»
    «Es wird nichts geschehen.»
    «Glaubst du das im Ernst? Hat dir dein Vater nicht erzählt, dass Meinwart und seine Kumpane ihm an die Kehle gegangen sind? Dass er vielleicht tot wäre, wenn nicht die Stadtwächter vorbeigekommen wären?»
    «Ich weiß.» Esthers Lippen zitterten. «Ich weiß das alles. Und ich hab Angst.»
    Plötzlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und begann zu schluchzen. Benedikt strich ihr übers Haar. Er zog sie neben sich aufs Bett und umarmte sie.
    «Ich liebe dich», flüsterte er in ihr weiches, dunkles Haar. «Ich will lieber sterben als ohne dich sein.»
    Er wartete, bis sie aufhörte zu weinen. Dann küsste er sie, wie er es damals als Junge an der Friedhofsmauer getan hatte. Nur öffnete sie diesmal ihre Lippen und ließ ihn ein. Benedikt schloss die Augen und glaubte sich auf einer Sommerwiese, im Licht der milden Nachmittagssonne. Als er die Augen wieder aufschlug, wusste er, dass es Esthers Haut war, die nach Wiesenblumen duftete.
    Mit heiserer Stimme bat er

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