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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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der Bürgermeister ins Sonnenlicht. Dahinter folgten zu Fuß die Ratsherren, dann die Gilde der Kaufherren, die achtzehn Zünfte, sie alle noch wohlgeordnet und mit erhobenem Banner, und endlich, als wilder Haufen um die Gefangenen, der Pöbel. Von den eigentlichen Stadtherren, den beiden Grafen von Freiburg, war nichts zu sehen.
    Äußerlich blieb Benedikt noch immer ruhig. Doch beim Näherkommen verschwamm der Menschenzug zu einem einzigen bunten Fleckengemisch, in seinen Ohren rauschten Stimmen, in seinem Kopf verwirrten sich die Gedanken. Wenn die Qual am größten ist, hörte er den alten Moische sagen, kommt unser Erlöser und bringt mit sich das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Zugleich sah er im Geiste Esther traurig lächeln: Keiner von uns wird sich der Gewalt beugen und die Taufe über sich ergehen lassen, und Benedikt rief ihr zu: Dann tu es um unserer Liebe willen! Da begann sie zu schluchzen: Ich habe Angst!, presste sich an ihn, wie vor wenigen Tagen und tausend Ewigkeiten, und er konnte wieder deutlich ihren Duft nach Wiesenblumen riechen.
    «Aus dem Weg jetzt!» Einer der Wächter drückte ihm den Schaft seiner Hellebarde gegen die Brust und schob ihn rückwärts gegen das Seil, das in gebührendem Abstand um die Hinrichtungsstätte gespannt war. «Dahinter wartest, wie alle andern auch.»
    Der Zug war angekommen. Aus der unbestimmten Masse hinter den Reitern, die jetzt das Holzgerüst umrundeten,schälten sich nach und nach einzelne Gestalten heraus. Da waren Ratsherren und Bürger, die Benedikt gut kannte: Hier der alte Tucher, die Räte Pfefferlein und Neumeister, die Badermeister Ebnoter und Plattner, dort der Würzkrämer Nussgeld, der Stadtschreiber Heinerli aus der Nachbarschaft, der Bärenwirt Hanmann Bienger, der Fleischer Aberlin Lacher von der Oberen Metzig, bei dem seine Mutter immer einkaufte. Benedikts Blick saugte sich an diesen Bürgersleuten in ihrem so feierlichen Ernst fest, nur um nicht den Pöbel schauen zu müssen und die geschundenen Kreaturen, die da zu Fuß und auf Eselskarren herangeschleppt wurden – schätzungsweise an die hundert Männer, Frauen und ältere Kinder.
    Seine Hände krampften sich um das Seil, bis die Knöchel weiß hervortraten. Das Stadtvolk wurde hinter die Absperrung zurückgetrieben, hie und da setzte es Schläge seitens der Wächter. Nichts und niemand verstellte Benedikt den Blick, als die Gefangenen nun ins Innere des Gerüstes getrieben, gezerrt, getragen wurden. Dort band man sie mit Stricken aneinander, die Familie des Rabbiners und all die Familien aus den Nachbarhäusern, die er seit seiner Kindheit kannte. Er entdeckte Deborah mit dem Dienstmädchen dicht neben sich, dann Aaron, an dessen Schulter sein Vater lehnte, und hörte sich beim Anblick des Freundes laut aufschluchzen. Er sah, wie ein Jude nach dem andern das Gesicht zum Himmel hob, um Psalmen zu singen, und die, die es noch vermochten, begannen zu ihren Liedern auf gespenstische Weise sogar zu tanzen. Wen er indessen nirgends entdecken konnte, waren Jossele, Eli und – Esther!
    Der Scharfrichter und sein Knecht näherten sich mit flammender Fackel den Reisigbündeln. Für einen kurzen Augenblick wurde es still auf der Uferwiese, und man hörte deutlichdie Worte:
Sch’ma Israel adonai – Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig
. Das war das Glaubensbekenntnis der Hebräer, und Benedikt erinnerte sich daran, wie Aaron ihm einmal vom Märtyrertod, dem Kiddusch haShem, erzählt hatte, den sein Volk seit Urzeiten auf sich nahm, um in Würde einen Tod zur Ehre Gottes zu sterben und als Lohn das große Licht der Welt zu erblicken.
    Nein, es gab keinen Zweifel: Esther war nicht dabei. Konnte es sein, dass sie und ihre Brüder als Einzige entkommen waren? Oder waren sie womöglich schon tot, im Kerker dahingerafft?
    Als der Brandmeister den ersten Reisighaufen entzündete und ein Aufschrei durch die Menge ging, machte Benedikt verstört auf dem Absatz kehrt. Mit schierer Gewalt zwängte er sich durch die Masse der Gaffer, nur weg, nur fort von hier. Herr, du mein Gott, schrie es in ihm, warum hältst du nicht die Zeit an? Warum tust du nichts für diese armen Menschen?
    Mit keuchendem Atem erreichte er schließlich das Stadttor. Aus dem Augenwinkel konnte er den riesigen Feuerschein in den Abendhimmel lodern sehen, Brandgeruch stieg ihm in die Nase, und je weiter er sich von diesem Ort des Grauens entfernte, desto deutlicher nahm er einen anderen Geruch wahr:

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