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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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vor dem Bild, das sie jede Nacht quälte, dem Bild des rauchenden Totenackers.
    Drei Tage hatte es gebraucht, bis das große Feuer endlich erloschen war. An jenem Nachmittag hatte sie lange mit sich gerungen. Allein der Gedanke an das Versprechen, das sie Deborah innerlich zum Abschied gegeben hatte, hatte ihr plötzlich Angst gemacht. Es war die Angst, die Stätte des Todes zu betreten. Wie gern hätte sie Heinrich um Beistand bei dieser schweren Aufgabe gebeten, doch der war dieser Tage von früh bis spät unterwegs. Etliche Brandwunden von Schaulustigen, die sich zu dicht ans Feuer gewagt hatten, galt es zu behandeln. Von Heinrich hatte sie auch erfahren, dass an diesem dritten Tag nach der Hinrichtung die Asche in den Fluss gekippt werden sollte, am Abend kurz vor Torschluss.
    So hatte sie denn Jossele und Eli, die seit jenem unheilvollen Tag kein Wort mehr über die Lippen brachten, in Johannas Obhut gelassen und war allein zum Nachbarhaus gegangen. Unbewacht, mit seinen zerschlagenen Türen und Fenstern, ließ es jeden Fremden ein. Längst waren nämlich alle Schätze der Juden ins Zeughaus verbracht worden, kein Möbelstück, keinen Wandbehang, nicht den kleinsten Zierrat hatte man zurückgelassen. Das Haus war ebenso tot wie seine Bewohner, und Clara war heilfroh, dass sie es nicht betreten musste. In den tiefen Gewölbekeller gelangte man nämlich von der Gasse her.
    Sie musste sich nicht lange umsehen. Auch im Keller hatte man fast alles beschlagnahmt, nur einige zerschlagene Gerätschaften, ein geborstenes Fass und eine Holzkiste waren übrig. Die war gefüllt mit Fichtenreisig zum Anfeuern. Zuunterst fand Clara, was sie suchte.
    Wider Erwarten war sie von feierlicher Andacht ergriffen, als sie den schweren Lederbeutel heraushob. Darin also war Erde aus dem Gelobten Land Israel! Sie dankte Gott, dass sie nun ihr Vermächtnis würde erfüllen können, bat ihn um Kraft für das, was noch folgte, und machte sich auf den Weg hinaus zum Schießrain.
    Noch immer lag Brandgeruch über der ganzen Stadt, doch hinter dem Schneckentor wurde er schier unerträglich. Solange das Feuer noch lichterloh gebrannt hatte, waren hier Tag und Nacht Wachen abgestellt gewesen, jetzt aber türmte sich auf der Uferwiese in aller Einsamkeit ein grauweißer Ascheberg unter den verkohlten Balken. Clara schossen bei diesem Anblick die Tränen in die Augen. Diese Asche war alles, was von ihren Nachbarn, von den jüdischen Mitbewohnern ihrer Stadt geblieben war! Jemand musste Jochai in Speyer benachrichtigen,kam es ihr in den Sinn, musste ihm sagen, dass seine Eltern und sein Bruder tot waren. Auch, dass seine Schwester und die Kleinen überlebt hatten.
    Dicht vor der Hinrichtungsstätte hielt sie inne. Die Wärme schlug ihr wie aus einem riesigen Ofen entgegen, den jemand angezündet hatte, um den klirrenden Frost dieser Wintertage zu vertreiben. Überall schwelten noch Glutnester, und ein schwerer Balken, der einzeln und wie ein Fingerzeig gen Himmel aus dem Haufen ragte, krachte eben jetzt in sich zusammen. Clara unterdrückte einen Aufschrei.
    «Mutter?»
    Sie fuhr herum. Vor ihr stand Benedikt, mit schmutzigem Gesicht, die Augen gerötet. Seit Ewigkeiten hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie ließ den schweren Beutel auf die Erde sinken und warf sich ihm an die Brust. Sein Körper fühlte sich stocksteif an.
    «Ich begreife das alles nicht», schluchzte sie. «Was ist mit unserer Welt geschehen? Sag es mir.»
    Bei den letzten Worten ergriff sie ihren Sohn bei den Schultern und schüttelte ihn. Benedikts Blick war stumpf.
    «Esther war nicht dabei», sagte er tonlos.
    «Hast du etwa alles mit angesehen?»
    «Ich bin fort, bevor es gebrannt hat.» Seine Worte waren kaum zu verstehen. «Was haben sie mit ihr gemacht? Wenn du etwas weißt, sag es mir.»
    Clara wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte mit Rudolf Stillschweigen um ihrer beider Leben willen vereinbart. Jetzt aber musste sie reden. Sie durfte den Graben zwischen sich und ihrem Sohn nicht noch tiefer werden lassen.
    «Sie konnte fliehen. Ich bete jeden Tag, dass sie in Sicherheit ist.»
    «Fliehen? Woher weißt du das?» Jetzt war er sichtlich erregt und packte sie an den Schultern.
    Sie zuckte die Achseln. «Man hört vieles, wenn man in den Gassen unterwegs ist. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.»
    Es tat ihr selbst weh, ihn anzulügen. Aber wenn sie ihm verriet, dass Esther in Straßburg war, würde er mit Sicherheit kopflos hinterhereilen. Und das konnte

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