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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Menschen nichts anderes als gemeinsam in den Tod gehen.
    Sie schrak zusammen, als unter den Gefangenen ein verzweifeltes Geschrei anhob. Zwei in Nonnentracht gewandete Frauen waren eben dabei, mit Hilfe der Stadtknechte die kleinsten der Kinder zu sich zu holen. Sie aus der Umklammerung ihrer Mütter zu lösen ging nicht ohne Gewalt. Clara hatte Deborah genau im Blick, sah ihre strenge Miene, hörte, wie sie Eli undJossele befahl, sie loszulassen. Im Gegensatz zu einigen anderen Müttern wollte Deborah, das begriff Clara sofort, ihre beiden Jüngsten vor dem Tod bewahren. Doch dann erstarrte sie. Nur Jossele wurde mitgenommen und zu den anderen Kleinkindern und Säuglingen gebracht, die sich um Pfarrer Cunrat scharten, teilnahmslos oder auch laut weinend. Eli hingegen, der ältere der beiden Knaben, wurde wieder an die Seite seiner Mutter geschoben. Deborah schüttelte den Kopf, schluchzte irgendetwas, versuchte, trotz ihrer gebundenen Hände den Jungen von sich zu stoßen – doch es half alles nichts.
    «Das darf nicht sein!» Clara packte Heinrich beim Arm. «Sie wollen den kleinen Eli in den Tod schicken!»
    «Wer älter ist als vier», hörte sie hinter sich einen Mann sagen, «muss ins Feuer. So ist das beschlossen.» Und eine Frauenstimme: «Recht so. Da ist nämlich die Seele schon gänzlich verdorben vom Judentum.» – «Die sollen doch gleich die ganze Brut verbrennen, vom Neugeborenen an.»
    Clara schnellte herum: «Dass euch der Teufel das schändliche Maul stopfe! Ihr seid weniger christlich als diese armen Menschen dort.»
    «Kannst ja eins der Bälger aufnehmen», rief die Frau des Wollschlägers ihr zu. «Sobald der Pfaffe es getauft hat. Die im Kloster sind froh um jeden Esser weniger.»
    «Ist das wahr?»
    «Gewiss. Jetzt, wo die Juden überall brennen müssen, da kommen   …»
    Clara hörte der Frau nicht länger zu. Sie raffte ihren Rockschoß und rannte hinüber zu Pfarrer Cunrat.
    «Die Grünbaumknaben kommen zu uns nach Haus.»
    Verdutzt glotzte der Pfarrer sie an, dann winkte er den Bürgermeister heran. Die Umstehenden, die die Worte mitgehörthatten, höhnten: «Die Grathwohlin will Judenmutter spielen.» Einige beschimpften sie, und ein junger Bursche spuckte ihr gar vor die Füße.
    «Ruhe!», donnerte Ederlin. «Ihr solltet euch lieber ein Beispiel nehmen. Ist nicht die Barmherzigkeit eine der Kardinaltugenden unserer christlichen Lehre? Meister Heinrich und seine Frau werden die Knaben in bestem christlichem Glauben aufziehen – das ist wahrer Gottesdienst! Nicht wahr, Herr Pfarrer?»
    Der nickte zwar, doch seinem abfälligen Gesichtsausdruck war anzusehen, wie wenig er von Claras Rettungsversuch hielt. «Komm heute Nachmittag mit deinem Mann in die Kirche. Nach der Vesper werd ich das Jossele taufen. Hernach müsst ihr in der Kanzleistube die notwendigen Papiere für ihn unterschreiben.»
    «Der Eli muss auch getauft werden.»
    «Nein. Der ist bereits fünf.»
    «Das ist nicht wahr. Wer sagt das?», wandte sich Clara wieder an den Bürgermeister.
    «So steht es auf unserer Liste. Ich denke, die Angaben stammen von den Eltern selbst.»
    «Dann muss der Schreiber sich verhört haben», begann sie mit dem Mut der Verzweiflung zu lügen. «Die Grünbaums sind unsre Nachbarn, ich kenne den Jungen seit seiner Geburt, und er ist erst vier. Ihr werdet sehen.»
    Sie lief hinüber zu Deborah, die aus ihrer Teilnahmslosigkeit erwacht schien. Aus der Nähe, im hellen Tageslicht, sah sie noch elender aus als im Keller des Spitals.
    «Deborah, sag es ganz laut und uns allen hier: Wie alt ist dein Eli?»
    «Eli ist vier.» Die Stimme war nur noch ein Krächzen.
    «Habt Ihr gehört, Herr Bürgermeister? Der Junge ist erst vier.» Clara beugte sich zu Deborah hinunter und küsste sie auf die Stirn. Ihre Haut war kalt wie bei einer Toten.
    «Gott schütze dich, Deborah! Und ich verspreche dir», flüsterte Clara, «dass deine Söhne den Glauben ihrer Väter nicht vergessen werden. Wenn wieder Ruhe in die Welt kommt, bringe ich sie zu Esther. Sie ist in Straßburg.»
    Deborah stierte sie ungläubig an, dann küsste sie ihren Sohn ein letztes Mal. Mit angstvollem Blick sah sie Clara an.
    «Ich danke dir! Es ist gut, dass die Jüngsten das Leben weitertragen.»
    Die Worte waren kaum noch zu verstehen. Clara hielt ihr Ohr dicht vor Deborahs Mund.
    «Ich hatte nie Angst vor dem Tod – aber jetzt – jetzt hab ich. Die Totenverbrennung – schwere Sünde. Schlimmer als der Tod, weil – die Toten können

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