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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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nicht auferstehen – beim Erscheinen des Messias. Bei uns – warten die Toten in der Erde – in der Erde Israels.»
    Die Stimme versagte ihr. Sie sackte in sich zusammen, als ein Wächter Clara und Eli von ihr wegzog.
    Währenddessen drohte ein Tumult auszubrechen.
    «Schafft die Juden endlich fort!» – «Ins Feuer mit ihnen!» – «Das wird ihr letzter Schabbatabend!»
    Mühsam kamen die, die nach Marter und wochenlanger Gefangenschaft noch gehen konnten, wieder auf die Beine. Sie schickten sich an, loszumarschieren, als der junge jüdische Arzt zu schreien anfing: «Wartet – ich will mich bekehren lassen. Ich will zum wahren Glauben übertreten.»
    Aaron trat auf Gutlieb zu, spie ihm mitten ins Gesicht und reihte sich mit versteinerter Miene wieder ein, während Gutliebs Fesseln gelöst wurden.
    Dieser Aufbruch der Todgeweihten war das letzte Bild, das Clara von ihren einstigen Nachbarn haben würde. Mehr konnte sie nicht ertragen. Sie machte sich auf den Heimweg, jeder einzelne Schritt kostete sie unsagbare Mühe. Unter den Fenstern der Spitalskirche lehnte sie sich gegen die Hauswand. Heinrich, der ihr gefolgt war, zog sie in seine Arme.
    «Ich bring dich heim. Halt dich nur fest an mir.»
    «Nein, lass, es geht schon wieder. Nur ein kleiner Schwächeanfall, nichts weiter.»
    Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie ernst. «Was hast du da eben zuvor mit den Grünbaumknaben ausgehandelt?»
    «Die beiden kommen nach der Taufe zu uns – vorerst jedenfalls.»
    «Du bist verrückt!»
    «Ich hätte das mit dir beraten müssen, ich weiß. Aber – ich bin eine Mutter genau wie Deborah, und ich hätte auch gegen deinen Willen so gehandelt.»
    Sie spürte, dass Heinrich verstimmt war über ihr eigenmächtiges Handeln. Doch hatte sie auf ihn keine Rücksicht nehmen können und sah auch jetzt keinen Anlass, ihn dafür um Verzeihung zu bitten. Zumal ihre Gedanken schon um etwas ganz anderes kreisten, um Deborahs letzte Worte nämlich. Von der Erde Israels hatte sie gesprochen, und Benedikt hatte ihr schon vor Jahren erzählt, dass die Grünbaums irgendwo in ihrem Keller tatsächlich ein Säckchen Erde aufbewahrten. Es stamme aus dem Land ihrer Vorväter, hatte er ihr mit feierlicher Miene erklärt. Und dass es der Traum aller Juden sei, irgendwann ins Land der Väter zurückzukehren oder zumindest in der Erde Israels begraben zu sein.
    Damals hatte sie sich ein wenig lustig darüber gemacht, wiedenn ein paar Krümchen Erde ausreichen sollten, dass ein Toter sich wie im Schoße Israels fühle, und Benedikt war gehörig in Harnisch geraten: «Wie vermessen du bist! Was sollen da erst die Juden von uns denken, die wir in unseren geweihten Hostien den Leib Christi sehen und diesen auch noch essen?»
    Ich verspreche dir etwas, Deborah, sagte sie sich innerlich, als sie jetzt am Hoftor angelangt waren. Ich verspreche dir, dass du und deine Lieben in der Erde Israels ruhen werdet. – Und bitte, Deborah, verzeih mir meine Schuld   …
     
    Allein mit drei Stadtknechten stand Benedikt beim Schießrain und wartete auf die zum Tode Verurteilten. Von den Männern misstrauisch beobachtet, verharrte er keinen Steinwurf entfernt von dem Holzgerüst, das mitten auf der Uferwiese errichtet worden war. Man mochte meinen, dass hier ein neues Haus entstand, dessen Balkenskelett als Nächstes mit Lehm und Bruchsteinen ausgefacht würde, bevor es ans Dachdecken ging. Wären da nicht im Innern die Reisigbündel und die sorgfältig geschichteten Holzscheite gewesen. Dieses Haus würde Wände und Dach nie erhalten. Zuvor nämlich würde es mitsamt seinen Bewohnern in Flammen aufgehen.
    Benedikt war nicht gekommen, um Zeuge dieses grauenvollen Sterbens zu werden. Er war hier, um Esther nicht alleinzulassen. In vorderster Reihe würde er stehen, wenn das Reisig rundum Feuer fing, damit sie sah, dass er mit ihr war. Er war sich sicher, dass er den Schmerz beim Anblick ihrer Todesqualen nicht überleben, dass er mit ihr sterben würde, und das verlieh ihm jetzt, in diesem Augenblick, eine unerwartete Ruhe. Für alle Fälle hatte er einen Dolch dabei, den er sich, wenn es für Esther vorbei war und er noch immer am Leben sein sollte, ins Herz stoßen würde.
    Lange bevor Benedikt die Meute sah, hörte er sie bereits, vernahm das Stimmengewirr zwischen den Trommelschlägen, einzelne laute Schreie, das Gebell von Hunden. Als Erstes schoben sich aus dem Dunkel des Schneckentors, hoch zu Ross auf glänzenden Rappen, der Schultheiß und

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