Der Pestengel von Freiburg
ablegen?», gab sie schnippisch zurück.
«Nun, das selbstredend nicht. Aber wie wäre es mit einem kleinen Austausch unter Kollegen? Ich habe von deiner neuen Methode des Venenschlagens gehört.»
«Hättet Ihr die Hildegard von Bingen gelesen, so wüsstet Ihr, wie uralt diese Vorgehensweise ist.»
Er schwankte zwischen Verärgerung ob ihrer Unverfrorenheit und Belustigung.
«Gute Frau, ich habe so viel gelesen in meinem Leben, dass längst nicht alles haftengeblieben ist. Aber wie wär es», er grinste breit, «wenn ich dich auf ein Krüglein Roten in den Bären einlade? Dann könnten wir ein wenig über die Heilkunde der streitbaren Klosterfrau disputieren.»
«Dazu fehlt mir die Zeit. Im Gegensatz zu Euch habe ich noch eine Haushaltung zu führen. Behüt Euch Gott, Herr Stadtphysicus.»
«Schade drum.»
Er sah ihr nach, wie sie aufrecht und erhobenen Hauptes durch das Schneegestöber schritt und gleich darauf um die Ecke zur Salzgasse verschwand. Unwillig dachte er daran, dass ihn zu Hause Irmel und Nese erwarteten, die beiden jungen Huren aus der Neuburgvorstadt. Er würde sie wieder heimschicken. Er hatte sie satt, all diese blutjungen Weiber, die ihm gegen ein paar Pfennige Wollust und Begehren vorgaukelten und dabei auch noch kicherten wie kleine Mädchen, wenn sie ihm die nackten Brüste entgegenstreckten.
Immerhin würde morgen diese vermaledeite Fastnachtszeit zu Ende gehen, die heuer, als habe das Judenbrennen das Volk vollends außer Rand und Band gebracht, von besonders unmäßigen Saufgelagen und Raufhändeln begleitet war. Sogar von den Ratsherren – er selbst mit eingeschlossen – waren nur die wenigsten nüchtern zu den Sitzungen gekommen, und so war es nicht verwunderlich, dass der Disput heute beinahe zu einer Schlägerei mit der gräflichen Partei geführt hatte.
Ab morgen, dachte Behaimer und stieß hörbar die Luft aus, ist es mit all diesen Ausschweifungen erst einmal vorbei. Dann würde der Pfarrer in der heiligen Messe die Asche derPalmzweige segnen und damit den Gläubigen ein Kreuz auf die Stirn zeichnen. Nachhaltiger als jeder Stadtbüttel und Scharwächter würde die beginnende Fastenzeit für Ruhe in den Gassen sorgen, und auch seinen eigenen Säftehaushalt vermochte er dann endlich wieder in die richtige Ordnung zu bringen. Sein Bauch spannte schon von der Völlerei der letzten Wochen.
Vor seiner Haustür rempelte ihn ein Kerl so heftig von der Seite an, dass er strauchelte.
«He, du Tölpel! Hast du keine Augen im Kopf?»
Es war Meinwart, der sich augenscheinlich wieder einmal einen Rausch angesoffen hatte. Der Bursche hatte ihm gerade noch gefehlt.
«Ihr sssuldet mir noch einen Gulden, werter Herr Ssstadtphysscus», lallte er.
«Der Galgenstrick gebührt dir für das, was du getan hast! Kannst Gott danken, wenn ich dich nicht dem gräflichen Blutgericht ausliefere.»
Ein Ruck ging durch Meinwarts Körper.
«Wie? Ihr d-droht mir?» Seine Augen funkelten böse. «Wer hat mich denn an-angeschtiftet? Außerdem – der Dummkopf ist mir gradwegss inss Messer gerannt. Ein Unfall.»
Er trat dicht an Behaimer heran und blies ihm seinen Weinatem ins Ohr.
«Nur ein Wort darüber, Magissterlein, und die ganze Stadt erfährt, wer mir den Giftbeutel zugeschteckt hat. Und dann baumelt Ihr neben mir am G-Galgen .»
Clara kniete auf dem eisigen Steinboden der Kirche und blickte vom Gebet auf. Der Chorraum war verhüllt von dem riesigen Fastentuch, das in düsteren Farben aus dem Leben desHeilands erzählte. Sie versank im Anblick des Gekreuzigten und begann, ihm Fragen zu stellen: Du bist für unsere Schuld gestorben, Herr Jesus Christus, hast dich um unserer Sünden willen geißeln und ans Kreuz schlagen lassen. Jetzt haben wir erneut große Schuld auf uns geladen, ich selbst habe Schuld auf mich geladen gegenüber meinem Sohn, gegenüber Esther Grünbaum. Herr Jesus Christus, warum ist dieses Volk der Juden so geächtet, dass es vernichtet werden darf? Ist es nicht auch dein Volk, selbst wenn es an dir zweifelt? So wie du an Gott gezweifelt hattest in deiner Sterbestunde? Warum also lässt du zu, dass sie allerorten brennen müssen?
All dies fragte sie den Gekreuzigten, doch sie erhielt keine Antwort. Dennoch nahm sie sich vor, weiterhin jeden Morgen hierher zum Gebet zu kommen, bis zum Ende der Fastenzeit, und jeden Tag eine Kerze zu entzünden für das Seelenheil der Juden und das ihrer Familie und ihrer Vorfahren. Vielleicht würde sie dann ja eines Tages Ruhe finden
Weitere Kostenlose Bücher