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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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aufrecht gehen konnten, waren ihm bloß die Hände auf den Rücken gebunden. Leise sprach er auf seinen Vater ein.
    Als Heinrich auf den Karren zusteuerte, stellte sich ihm einer der Wächter in den Weg.
    «Lass mich durch, Bertschi.»
    Der Wächter zögerte, dann trat er einen Schritt zurück. «Aber nur ein Paternoster lang, Meister.»
    Clara beobachtete, wie Heinrich schnell ein Fläschchen aus der Tasche zog, es kurz schüttelte und zwischen Moisches blutige Lippen zwängte. Sie wandte sich unterdessen Aaron zu, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen.
    «Dein Vater wird gleich keine Schmerzen mehr haben.» Ihre Stimme zitterte. So leise als möglich fügte sie hinzu: «Sag deinen Eltern, dass Esther lebt. Sie ist auf dem Weg nach Straßburg.»
    «So, das reicht», beschied jener Wächter, der Bertschi hieß. «Es geht los.»
    Unbeholfen strich Clara dem alten Moische zum Abschied über die Wange. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Wir beten für euch», stammelte sie, und: «Gott wird euch beistehen.»
    Moische nickte fast unmerklich. Mit einem heftigen Ruck setzte sich der Karren in Bewegung. Dabei fiel sein Kopf zur Seite wie bei einer alten Stoffpuppe.
    Bis hinüber zum Fischmarkt gaben Clara und Heinrich ihnen das letzte Geleit, gefolgt von einer immer größer werdenden Menschenmenge. Zweimal hatte Clara bislang eineHinrichtung erlebt. Einmal, als eine Kindsmörderin im Sack ertränkt wurde, ein andermal, als ein Mordbrenner qualvoll gerädert wurde, neben dem Galgen draußen vor der Stadt.
    Heute hingegen war alles anders. Diente gemeinhin der Tod eines Verbrechers sowohl der Sühne als auch der Versöhnung mit Gott, so gab es für die Juden keinen Priester, der sie durch Beichte und Absolution erlöste und zum Frieden führte. Anstatt sie in den Chor der Kirche zu führen, wo sonst das gräfliche Blutgericht feierlich das Urteil sprach, wo über die Delinquenten der Stab gebrochen, ein letztes Mal die Glocke geläutet und ihnen auf ihrem Gang in den Tod vor der Spitalskapelle der Arme-Sünder-Kelch gereicht wurde, würde man diese Menschen wie Vieh vor die Stadt treiben und den Flammen übergeben.
    Nur eines blieb sich gleich: Die Menge gaffte wie immer. Die wenigsten schweigsam, die Mehrheit mit Grölen oder rohem Gelächter – heute lauter und zufriedener denn je, hatten es die Grafen und der Rat der Stadt doch endlich über sich gebracht zu handeln!
    Wie hässlich und voller Niedertracht konnte die menschliche Seele doch sein, dachte Clara, während sie sich an Heinrich klammerte. Wie begierig auf jede Grausamkeit, die man nicht am eigenen Leib spüren musste. Da nahm man sogar die Kleinsten mit zu solch einem Spektakel, drückte ihnen Rasseln und Rätschen wie zum Fastnachtsumzug in die Hand, labte sich an Wein und Spitzwecken, die an jeder Ecke angeboten wurden, und schubste und reckte die Hälse, um nur ja nichts von dem Leid, das sich einem darbot, zu versäumen. Und der Scharfrichter würde sich an dem großen Brennen eine goldene Nase verdienen.
    Bei der alten Gerichtslaube am Fischmarktbrunnen gab es kein Durchkommen mehr. Die Stadtknechte mussten mitihren Spießen den Weg frei machen und dabei den Steinen und Rossbollen ausweichen, die in Richtung der Gefangenen geschleudert wurden. Nachdem zuletzt auch die Frauen mit ihren Kindern am Brunnen angelangt waren, allesamt barfuß und in dreckige Lumpen gehüllt, drängte man die Menge zu einem großen Halbrund zurück.
    Clara kam mit Heinrich in vorderster Reihe zu stehen. Es hatte geheißen, die zwölf reichsten Männer würden verschont, um in ihrem Namen die Schulden eintreiben zu können. Doch alle waren sie da, keinen hatte man laufenlassen, weder den alten Pfandleiher Moische noch den reichen Süßkind, noch den Vieh- und Getreidehändler Liebekind. Als sie nicht weit vom Brunnen Deborah mit ihren beiden Knaben entdeckte, spürte sie, wie ihre Kräfte schwanden.
    Bürgermeister Hug Ederlin bestieg die Stufen der Gerichtslaube, hob die Arme und bat brüllend um Ruhe. Aus weiter Ferne und doch mit einer Stimme wie Donnerhall hörte Clara ihn fragen, wer von den Hebräern nun die letzte Möglichkeit ergreifen und mittels der christlichen Taufe den rechten Weg einschlagen wolle. Keiner der Gefangenen rührte sich, niemand hob auch nur den Kopf. Anschließend fragte Ederlin nach Weibern, die guter Hoffnung seien, doch auch da tat sich nichts. Dabei wusste Clara von mindestens zwei Frauen, die schwanger waren. Ganz offenbar wollten diese

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