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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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voller Verzweiflung zu schreien begann. Er ging in die Knie, ließ sich kraftlos vornüberfallen, mitten auf dem matschigen Fahrweg.
    Es war alles vergebens gewesen. Das ganze Leben war vergebens. Er würde hier liegen bleiben, bis der Tod Erbarmen zeigte und ihn holen kam.
    «He du, was bist du für einer?»
    Benedikt rührte sich nicht.
    «Bist du verletzt? Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört.»
    Jemand zog ihn in die Höhe, schleppte ihn an den Wegrand, klopfte ihm rechts und links gegen die Wangen. Widerstrebend öffnete Benedikt die Augen. Erst glaubte er, seinen Vater vor sich zu sehen, doch es war ein Bauersmann in dessen Alter, mit blondem, noch kräftigem Haarschopf, der von einzelnen grauen Strähnen durchsetzt war. Der Fremde betrachtete ihn eingehend. Neben ihm graste ein struppiger Esel.
    «Wie heißt du, und woher kommst?», fragte der Mann.
    «Benedikt Grathwohl.» Benedikt wunderte sich selbst, dass er noch zu sprechen vermochte. «Aus der Stadt Freiburg.»
    «Sag bloß, du bist überfallen worden.»
    «Nein. Es ist nichts. Bin nur müde.»
    «Dem Himmel sei Dank. Neuerdings treibt sich hier eine Rotte Wegelagerer herum. Dein Pferd hab ich dort drüben festgemacht. Dem ist ein Eisen locker. Das musst du richten lassen.»
    Der Bauer wollte sich schon abwenden, da hielt Benedikt ihn am Arm fest.
    «Warte. Was ist in Straßburg geschehen?»
    «Das weißt du nicht? Ein großes Judenschlagen. Sind alle verbrannt.»
    «Alle verbrannt», wiederholte Benedikt.
    «O ja! Das Stadtvolk hat sich endlich durchgesetzt.»
    Die Miene des Mannes drückte Verachtung aus. Auch seine Stimme klang nicht so, als würde er das, was sich in Straßburg zugetragen hatte, gutheißen. Allein das veranlasste Benedikt nachzufragen. Er musste wissen, was genau geschehen war.
    «Bist du dabei gewesen?»
    «Einen Teufel hätt ich getan, mir einen solchen Frevel anzuschauen.» Seine Stimme wurde laut. «Sie haben nichts verbrochen, diese armen Seelen. Rein gar nichts. Was für einBlödsinn, dieses Gewäsch über Giftbeutel und Pestilenz! Unser Dorfpfarrer sagt: Die Seuche ist auch, wo keine Juden wohnen, und wo sie wohnen, sterben sie gleich wie die Christen.»
    «Dann hast du nichts gegen die Juden?»
    «Warum? Ich kenn einen Trödler, der Seligmann aus dem Nachbardorf, der bringt mir immer Schnüre und Nägel auf den Hof, beste Ware. Der ist Jude und ein feiner Kerl.»
    Benedikt lehnte sich gegen einen Baumstamm und blickte in Richtung Stadt.
    «Wann war es?», fragte er schließlich leise.
    «Vorgestern, an Sankt Valentin. An ihrem heiligen Schabbat. Über tausend sollen tot sein. Sag bloß – warum schaust jetzt so erschreckt? Bist du am End selber ein Jud?»
    Benedikt schüttelte den Kopf. «Ich – ich suche ein jüdisches Mädchen. Sie heißt Esther.»
    Der Name brannte ihm auf der Zunge, als er ihn aussprach.
    «Tut mir ehrlich leid, mein junger Freund. Mehr weiß ich nicht, als was ich grad gesagt hab. Das heißt   …» Er zögerte. «Eine Familie hat wohl fliehen können, eben grad ins Nachbardorf zu meinem Trödler.»
    Ein winziger Funken Hoffnung keimte in Benedikt auf. «Heißt jemand von den Leuten Salomon ben Ariel?»
    Der Bauer zuckte die Schultern. «Da musst schon beim Seligmann selber nachfragen. Es ist nicht weit bis Illkirchen. Komm halt einfach mit mir, ich muss eh in die Richtung.»
    Eine gute Wegstunde später, die sie schweigend nebeneinander hergetrottet waren, blieb der Bauer an einer Weggabelung stehen.
    «Siehst du die große Dorfkirche? Zwei Häuser weiter wohnt der Seligmann. Sag ihm einen Gruß von mir, vom SchwarzhoferHenslin. Ich muss hier linker Hand weiter. Und bring dein Ross zum Dorfschmied.»
    Benedikt bedankte sich bei dem freundlichen Mann und marschierte weiter auf Illkirchen zu. Dort wiesen ihm spielende Kinder den Weg zu dem geduckten Steinhäuschen in der Kirchgasse.
    Nachdem Benedikt sein Pferd an einem Pfeiler festgebunden hatte, holte er einige Male tief Luft und klopfte gegen die Eingangstür. Er klopfte wieder und wieder, doch es tat sich nichts. Schon wollte er sich abwenden, als sich im Fensterladen neben der Tür eine kleine Luke öffnete. Ein zusammengekniffenes Auge starrte ihm entgegen.
    «Wer bist du?»
    «Benedikt Grathwohl aus Freiburg.»
    «Was willst du?»
    «Ich möchte Seligmann, den Trödler, sprechen.»
    «Warum?»
    «Ich bin auf der Suche nach einem jüdischen Mädchen. Nach Esther Grünbaum.»
    Benedikt spürte, wie er gemustert wurde, dann sagte die Stimme:

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