Der Pestengel von Freiburg
Hosanna-Rufen, die Zunftgenossen in Reih und Glied vorweg, war er einmal rund um den Kirchplatz geführt worden, auf seinem Rücken die hölzerne Christusfigur, die die Rechte zum Segen erhoben hielt. Jetzt am Nachmittag diente der Esel den Kindern zur Gaudi. Gegen einen Halbpfennig durften sie auf ihm reiten.
Als es endlich wieder ein, zwei Schritte voranging, begann hinter ihnen jemand zu drängeln. Es war die Frau des WürzkrämersNussgeld mit ihren beiden Jüngsten, und sie tat es nun schon zum wiederholten Male.
Ärgerlich fuhr Clara herum. «Du bist auch nicht schneller an der Reihe, wenn du mich schubst.»
«Ich wär wohl schneller dran, wenn du die Judenbälger daheimgelassen hättest», giftete die Nussgeldin zurück.
«Die Nussgeldin hat recht», keifte das Weib hinter ihr. «Die beiden haben hier nichts zu suchen.»
Clara würde wütend. «Haltet bloß eure Schandmäuler. Die Kinder sind in gleicher Weise getauft wie die euren.»
Eli ließ Heinrichs Hand los und fing zu weinen an. «Ich will nicht auf dem blöden Esel reiten.»
«Habt ihr’s gehört?», belferte die Würzkrämerin von neuem. «Jetzt beleidigt der Bengel auch noch den Esel unseres Herrn!»
Eben da kam Heinrich an die Reihe. Der Messner, der auf einem Podest stand, um die Kinder besser auf das Tier hieven zu können, zögerte. Dann half er Michel hinauf, ohne Anstalten zu machen, sich auch um Eli zu kümmern.
Kurzerhand hob Heinrich den Grünbaumknaben selbst hinauf. «Jetzt zeigst du uns, wie gut du reiten kannst!»
Er strich ihm übers Haar, und Eli hörte auf zu weinen. Heinrich wandte sich an die Umstehenden.
«Ich hab für alle vier Kinder bezahlt», donnerte er los. «Noch ein Wort, und ich geh mich bei Pfarrer Cunrat beschweren.»
Angespannt hielt Clara die beiden Jüngsten fest an der Hand. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn sie die Knaben bei Johanna zu Hause gelassen hätten. Noch beim Morgenessen hatte Heinrich ihr zu bedenken gegeben, dass mehr und mehr Leute sie als Judeneltern schmähten und es darum Ärger geben könne in der angespannten Lage, die derzeitin der Stadt herrschte. «Dann grad erst recht», hatte sie ihm nur entgegnet.
Das Maulen rundum war jetzt zwar verstummt, aber den Gesichtern war anzumerken, dass nicht viel fehlte zu einem erneuten Tumult.
Clara dachte an vergangene Woche. Da waren Unmut und Zorn der Leute beinahe in einen handfesten Bürgeraufstand umgeschlagen. Auslöser war ein Ratsbeschluss gewesen. Von der Schuld der Bürger bei den Hebräern würden nur jeweils fünf Pfund Pfennige erlassen, hatten die Ratsherren verlauten lassen. Der Rest solle zum Nutzen der Allgemeinheit der Stadtkasse zufließen. Wer sich, wie etliche Bürger und auch die Grafen von Freiburg, bar seiner hohen Schulden gesehen hatte, kam nun also vom Regen in die Traufe. Bei den Betroffenen, zumal den gräflichen Stadtherren, die sich bereits den Besitz des jüdischen Vermögens erträumt hatten, war die Entrüstung immens. Der junge Graf hatte sogar gedroht, mit Waffengewalt gegen die Stadt vorzugehen, aber nicht einmal davon hatte sich der Rat umstimmen lassen. Man war der Grafenfamilie nur so weit entgegengekommen, dass man ihr die Judenschulden in Gänze für null und nichtig erklärte.
Allerdings hätte es für diesen Beschluss noch der Zustimmung der Zünfte bedurft. Auf den Gassen rotteten sich bereits die ersten wütenden Bürger zusammen, und Schultheiß Johann Snewlin, hochverschuldet bei den Juden und als Richter der Stadt die treibende Kraft bei deren Verurteilung, sah die Gunst der Stunde gekommen. Zusammen mit einem Gefolgsmann, dem Schuhmacher Henni Mattmann, hetzte er die Mehrzahl der Zünftigen gegen den Ratsbeschluss auf. Mit großem Erfolg, wie sich vor zwei Tagen gezeigt hatte.
Vor der Ratsstube hatten sich mehr und mehr Bürger versammelt,und es war zu lauten Krawallen und Raufhändeln gekommen, bei dem das einfache Volk nur allzu gern mitmischte. Snewlin und Mattmann, in vollem Harnisch und bewaffnet, hatten sich an die Spitze der Aufrührer gestellt und drohten dem Rat offen mit Gewalt. Doch selbst als die ersten Steine flogen, blieben die Ratsherren hart – allen voran die Kaufleute, darunter, zu Claras Erstaunen, auch Gottfried Tucher und Heinrichs treue Kunden Neumeister und Pfefferlein.
Sie ließen die mit Spießen und Knüppeln bewaffnete Scharwache aufmarschieren, und wer sich nicht zerstreute, wurde festgenommen. Etliche saßen seither im Strafturm, darunter auch die
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