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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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«Wart, ich mach dir auf.»
    Gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und Benedikt trat in den halbdunklen Wohnraum. Darin erkannte er ein schmächtiges Männlein, mit langem Bart und ganz ohne Haare auf dem glänzenden Schädel. Er hatte ihn offenbar beim Beten gestört, denn mitten auf dem Tisch lagen Gebetsmantel und -riemen wie eilig hingeworfen.
    «Der Seligmann bin ich selbst.» Der Trödler strich sich über den langen Kaftan. «Nu ja, wie ein Stadtbüttel siehst nicht grad aus. Also, was willst du von dem Mädchen?»
    «Esther ist – sie ist meine Freundin.»
    Fast trotzig kam Benedikt diese Erklärung über die Lippen.
    «Gehört sie zur Straßburger Gemeinde?»
    «Nein, sie ist aus Freiburg. Aber sie soll nach Straßburg geflohen sein, und jetzt, wo auch dort   …» Er brach ab.
    «Nu willst wissen, ob dein Mädel das Brennen überlebt hat.» So grausam klangen diese Worte aus dem Mund des Trödlers! Zugleich wiegte er bekümmert den Kopf. «Ich kenne niemanden mit Namen Grünbaum. Tut mir sehr leid, mein Junge.»
    «Aber vielleicht – es heißt, Ihr hättet Straßburger Juden aufgenommen.»
    «Wer sagt das?», fragte Seligmann mit schneidender Stimme.
    «Der Schwarzhofer Henslin. Von dem soll ich grüßen.»
    «Ja, ist der denn meschugge? So einen Unsinn herumzuschwatzen – der bringt mich in Teufels Küche.»
    «Ich glaub nicht, dass er herumschwatzt», versuchte Benedikt zu beschwichtigen. «Er hat’s nur zu mir gesagt, ganz bestimmt.»
    «Ich warn dich, Jungelchen. Kein Wort zu irgendwem, verstanden? Warte hier.»
    Daraufhin verschwand er durch eine schmale Tür in einen Nebenraum, um wenig später mit einem hochgewachsenen, dunklen Mann zurückzukehren. Er stellte ihn als Joel ben Jochanan, genannt Goldstein, vor.
    «Kennt Ihr Salomon ben Ariel, den Vorbeter der Straßburger Gemeinde?», fragte Benedikt, nachdem er sich vorgestellt hatte. «Oder seinen Sohn Uri?»
    Um Goldsteins Mundwinkel zuckte es, als würde er gleich zu weinen beginnen. Schließlich sagte er bedächtig: «Recht wohl kenne ich den Vorbeter.»
    «Konnte seine Familie fliehen?»
    «Nein. Keiner von ihnen.»
    Jetzt schwankte Goldstein gegen die Tischkante, hielt sich mit beiden Händen daran fest.
    «Sie haben uns vor die Stadt getrieben, haben gesagt, wir müssten Straßburg auf immer verlassen. Auf unserem Friedhof sollten wir uns sammeln.» Sein Blick heftete sich auf den Gebetsmantel, als könnte der ihm Trost spenden. «Da hab ich von weitem das hölzerne Gerüst dort stehen sehen und zu meiner Frau und meinen Söhnen gesagt: ‹Lauft, was ihr könnt.› Außer uns hat es nur noch die Familie meines Vetters geschafft. Alle anderen wurden in den Friedhof gesperrt. Schon auf dem Weg nach Illkirchen haben wir das Feuer gerochen.»
    Goldstein fing zu schluchzen an.
    «Sie haben alle verbrannt, nur eine paar schwangere junge Frauen haben sie verschont und die kleinsten Kinder.»
    Sie haben alle verbrannt,
hallte es in Benedikts Ohren nach, und er begann am ganzen Leib zu zittern. Es kostete ihn unendliche Anstrengung, einen letzten Vorstoß zu machen. Vielleicht war ja Esther gar nicht nach Straßburg gegangen.
    «Hatte der Vorbeter eine junge Frau zu Besuch, mit Namen Esther Grünbaum aus Freiburg?»
    «Die schöne junge Braut vom Uri?» Goldstein wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. «Ja, das Mädchen war bei ihnen zu Gast. Ich habe sie zwei-, dreimal dort gesehen. Aber jetzt sind sie alle tot.»

Kapitel 16
    M it dem Palmsonntag war der erste warme Frühlingstag ins Land gekommen. Clara und Heinrich reihten sich mit den Kindern in die Warteschlange vor der Friedhofsmauer ein – Heinrich mit Michel und Eli, dahinter Clara mit Kathrin und Jossele. Ihre Jüngste und Jossele waren inzwischen ein Herz und eine Seele, tobten ausgelassen durch Küche und Stube und waren abends kaum ins Bett zu kriegen. Eli hingegen zog es noch immer vor, die meiste Zeit des Tages zu schweigen. Nur bei Musik und Gesang ging ein Leuchten über sein verschlossenes Gesicht. Oder wenn Johanna ihm zum Einschlafen von Waldfeen, frechen Kobolden und Meerjungfrauen erzählte.
    Wie jedes Jahr ging es in der Schlange nur schleppend voran. Wer nämlich von den Kindern erst einmal auf dem hölzernen Esel hockte, der in Schienen auf der Mauerkrone gezogen wurde, der gab seinen Platz nicht ohne Geheul wieder auf. Noch am Morgen, während der Prozession, hatte das lebensgroße Tier als Palmesel beim Einzug nach Jerusalem gedient. Unter Gesängen und

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