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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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außergewöhnliche Umstände erforderten eben außergewöhnliche Maßnahmen, dachte er und überlegte, was er sonst noch dafür tun konnte, um die Arbeitskraft seines Helfers schnell wiederherzustellen. Wieso eigentlich ›Helfer‹? Fabio hatte seit Monaten die ganze Arbeit allein verrichtet, während er selbst nur abkassiert hatte. Und da dies so bleiben sollte und die Pest nach wie vor tagtäglich ihre Opfer forderte, würde er seinen durch und durch verlausten, aber fleißigen Helfer auch in Zukunft dringend brauchen. Also musste er ihn schnellstens wieder auf die Beine bringen – egal wie.
    Zunächst aber muss ich ein in Essig getränktes oder mit Kräutern gefülltes Tuch vor den Mund binden, hatte er sich zu Beginn der Behandlung an eine alte Empfehlung seines ehemaligen Kumpans Heinrich Schwartz erinnert, aber nicht gewusst, welche Kräuter zu verwenden waren. Also hatte er sich für den ätzend stinkenden Essig entschieden.
     
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    Auch wenn Ruland Berging neben seinem aufwändigen Dienst am Kranken jetzt vorübergehend selbst die berufsbedingt typische Arbeit eines Totengräbers verrichten musste, würde er keinen einzigen Hinterbliebenen auslassen und sorgsam darauf achten, dass alle korrekt das Totengeld entrichteten. Außerdem behielt er sich vor, jedes einzelne Pestopfer nach allem zu durchsuchen, was sich irgendwie würde zu Geld machen lassen. An das Tragen von Handschuhen und Mundschutz hatte er sich während Fabios Krankenpflege ja gewöhnt.
     
    *
     
    Bis zur Stunde hatte sein Helfer stets alles abgeliefert, was von Wert sein konnte. Der ehemals zu Recht als Dieb verschriene Herumtreiber hatte bisher kein einziges Stück eingesteckt und für sich behalten. Schließlich war er aus seiner Sicht ein ehrbarer Dieb gewesen, der nur hatte überleben wollen.
     
    Seit der Totengräber einen Burschen dabei beobachtet hatte, wie dieser das auf der Brust einer Leiche liegende Totengeld geklaut hatte, kassierte er es bei den Hinterbliebenen direkt ab. Aus Fabios Sicht waren Gewandteile, Rosenkränze und Kleinkram nichts wert, was es ihm bisher umso leichter gemacht hatte, sein gutes Gewissen zu behalten. Hier musste er sich zwar schinden wie ein Ackergaul und hatte fürwahr eine Scheißarbeit, aber er hatte wenigstens ein Dach über dem Kopf und mehr zu essen als die meisten anderen Dorfbewohner. Zumindest vorübergehend handelte es sich um die beste Art, sein ansonsten nutzloses Dasein zu fristen. So klang es fast unglaublich, als Fabio dem Totengräber versprach, rasch zu gesunden, um seiner derzeitigen Berufung wieder nachgehen zu können. Um zu verhindern, dass es ihn ständig würgte und er sich übergeben musste, durfte er momentan allerdings nicht an seine ekelhafte Arbeit denken.
     
    *
     
    Im Spital ging es derweil drunter und drüber. Der Kanoniker Martius Nordheim und Lisbeth hatten alle Hände voll zu tun, um die ihnen übertragenen Aufgaben wenigstens einigermaßen bewältigen zu können. Dazu kam, dass immer noch laufend unvorhergesehene Neuzugänge die Platzkapazität des Spitals zu sprengen drohten. Aufgrund der heillosen Überfüllung müssten sie Hilfesuchende eigentlich schon längst abweisen, brachten dies aber noch nicht übers Herz.
     
    »Ach, wäre doch nur unsere gute Schwester Bonifatia hier«, jammerte Lisbeth, die heute zum ersten Mal den direkten Dienst an den Kranken verrichten musste, weil sich die agile Krankenschwester schon in aller Früh auf den Weg gemacht hatte, um Nahrungsmittel zu beschaffen.
    Bevor die fürsorgliche Spitalleiterin gegangen war, hatte sie mit Lisbeth und Martius Nordheim über jeden einzelnen Patienten gesprochen und haarklein erklärt, was für deren Wohlbefinden alles zu tun sei. Dabei waren ihr zwei Patienten unter den Händen weggestorben.
    »Ich verlass’ mich auf euch«, hatte sie ihren braven Helfern zugerufen, bevor sie mit dem kleinen Leiterwagen losgezogen war, um die Bauernhöfe in der Umgebung Staufens abzuklappern.
    Da die Nahrungsmittel, die ihr Heini bis vor Kurzem zuverlässig besorgt hatte, allesamt von Bauern aus der nördlichen Umgebung Staufens stammten, dachte die Schwester, dass sie wohl erfolgreicher sein würde, wenn sie sich in östlicher Richtung aufmachte.
    Warum sich Heini nicht mehr blicken lässt, muss ich schnellstens ergründen. Ohne seine Lebensmittellieferungen sind meine Patienten dem Tod, dem sie zu entfliehen suchen, ganz sicher ausgeliefert, dachte sie, als sie auf dem Weg, am Staufenberg vorbei, in Richtung

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