Der Peststurm
Jüdin kümmerte sich vorbildlich um ihre Freundin. Obwohl es Konstanze etwas besser zu gehen schien, war sie auffallend unruhig. Ungeachtet dessen, hatte auch Judith ein ungutes Gefühl. »Ich weiß zwar nicht, was, aber irgendetwas liegt in der Luft«, hatte sie schon am Morgen zu ihrer Tochter gesagt.
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, als wir ihr das Krankenlager frisch bezogen haben«, bemerkte Sarah dazu.
»Dass Konstanze heute so aufgeregt wirkt, liegt sicher daran, weil sie sich Sorgen um Ulrich macht und es nicht erwarten kann, bis er wieder zurück ist.«
Sie alle freuten sich auf die Rückkehr des Kastellans, der ihnen allein durch seine bloße Anwesenheit immer ein hohes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gab. Wenn sie sich auch im Schloss ohne ihn relativ sicher fühlen konnten, waren sie nicht davor gefeit, von einem Augenblick zum anderen in die Wirren des Großen Krieges mit hineingezogen zu werden. Schlagartig konnte ein schwedischer oder kaiserlicher Trupp vor dem Schlosstor stehen und Einlass begehren, um Lebensmittel zu konfiszieren … oder um das Schloss leerzuräumen. Nicht auszudenken, was dann mit den Bewohnern, vor allen Dingen aber mit den Bewohnerinnen, geschehen würde.
Außerdem schwang im Dorf unten immer noch die Pestilenz ihre mörderische Sense und konnte sich ihren Weg ins Schloss hinein bahnen.
Kapitel 34
Als Bruder Nepomuk kurz vor der Abreise nach Staufen breit grinsend in legerer Gewandung erschien und seinem Freund Ulrich freudestrahlend verkündete, jetzt endlich wieder der ehedem einfache Hufschmied Jodok sein zu können, auch wenn er derzeit keinen Bart habe, erinnerte ihn der Abt, der dies mitbekommen hatte, an seine Mönchspflichten und trug ihm auf, sofort wieder sein Benediktinerhabit überzustreifen. »Eine Kutte macht zwar noch keinen Mönch, hat aber nach außen hin eine symbolische Bedeutung, die euch beiden während eures gefährlichen Weges ins derzeit von den Protestanten besetzte Allgäu schneller dienlich sein kann, als euch vielleicht lieb ist«, sagte er komischerweise zum Kastellan, bevor er sich mit strengem Blick seinem Mitbruder zuwandte. »Außerdem stehen dir Cuculle, Tunika und Skapulier hervorragend. Abgesehen davon, macht eine Kutte deine innere Einstellung für unseren Glauben und deine Verachtung für irdische Dinge und weltlichen Besitz nach außen hin sichtbar.«
Nachdem der Abt dies gesagt hatte, musste er selbst lachen. Immerhin hatte er keinen gewöhnlichen Mönch vor sich, sondern den Hohenzollern’schen Fürstensohn Johann Nepomuk, einen äußerst eigenwilligen Diener Gottes, der die Lehren des Heiligen Benedikt stets so auslegte, wie sie ihm gerade in den Kram passten, und der in seiner Eigenschaft als Soldat Christi schon mal das Kreuz als Waffe mit seiner Doppelaxt verwechselte.
»Auch wenn ich dir sturem Bock deine geliebte Waffe nicht verbieten kann, bist du doch Bruder Johannes Nepomuk und nicht irgend ein imaginärer Hufschmied namens Jodok. Du bist ein Prediger der Gesetze unseres Herrn und reist in offiziellem Auftrag unseres Klosters. Dementsprechend hast du dich auch zu benehmen … und zu gewanden. Vergiss niemals: Wer einmal die Kutte genommen hat, trägt sie für immer«, wurde er in gefährlich ernstem Ton ermahnt.
Nachdem sich Nepomuk murrend die Bedeutung des Gewandwechsels in Erinnerung hatte bringen lassen müssen und kurz darauf neu gewandet vor dem zufrieden grinsenden Abt stand, bekamen er und der Kastellan nicht nur den Segen des Klostervorstehers, sondern auch noch ein mit Lebensmitteln bis oben gefülltes Fuhrwerk und zwei ausgeruhte Pferde mit auf den Weg.
*
Nun waren sie schon über sieben Stunden unterwegs. Die bisherige Reise von Bregenz nach Staufen war für den Staufner Kastellan und den ungewöhnlichen Mönch ohne größere Störungen verlaufen. Allerdings nur, weil sie ein paar Sicherheitsumwege gemacht hatten. Sie mühten sich gerade den Weilemer Buckel hoch, als sie vor sich den Glockenturm der Simmerberger Taverne sahen. Solche auf dem Dachgiebel angebrachten Türmchen dienten der Sicherheit und waren in jedem noch so kleinen Dorf mindestens einmal zu finden, weswegen sie eigentlich nichts Besonderes waren. Diese ›Sturmglocke‹ aber thronte auf dem Dachfirst einer Brauerei, also war sie etwas Besonderes, … zumindest für Nepomuk, dem vor lauter Durst schon längst die Zunge aus dem Mund hing.
»Dank der kleinen Umwege und meiner Doppelaxt haben wir keine
Weitere Kostenlose Bücher