Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
zog es die Ratten bei ihrer Nahrungssuche wieder in die Häuser zurück. Dort gab es aber auch nur noch dort Nahrung, wo die letzten Fleischreste an Haken hingen. Bei den sommerlichen Temperaturen verfaulte das Fleisch so schnell, dass die Fliegen gerade noch Zeit hatten, dort ihre Eier abzulegen. Das Resultat war, dass mangels Feuerholzes madiges Fleisch verzehrt werden musste, was unweigerlich zu weiteren Krankheiten führte und die Betroffenen zusätzlich schwächte. Für die bisher überlebenden Familien der Schafdiebe begannen die Probleme aber erst richtig, als sie aufgrund des Hungers anfingen, die Mutterschafe zu schlachten. Dadurch verloren sie auch noch ihre Milchlieferanten.
     
    Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, vor dem sie sich gefürchtet hatten: Wenn sie überhaupt eine Möglichkeit haben wollten, um zu überleben, würden sie wohl oder übel ihre Häuser verlassen müssen, um Wasser zu holen und Lebensmittel zu beschaffen. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? So waren Plünderungen schnell an der Tagesordnung. Der bisherige Ehrenkodex ›Mir Schdöufnar holddet allat zämet‹ war von heute auf morgen außer Kraft gesetzt worden, und vom dörflichen Zusammenhalt keine Spur mehr. Niemand scherte sich jetzt noch um das Eigentum des anderen. Da in vielen Häusern Menschen starben, obwohl sie sich von dem Tag an, als sie vom Tod des Schäfers erfahren hatten, von der Außenwelt abgeschottet hatten und mit keinem Kranken in Berührung gekommen waren, glaubte jetzt niemand mehr ernsthaft daran, sich schützen zu können. Dass es gerade diejenigen Familien am schlimmsten traf, in deren Häusern gestohlene Schafe waren, war niemandem verborgen geblieben, weswegen die Überlebenden den Tod ihrer Familienmitglieder als Strafe Gottes für den Schafsdiebstahl ansahen.
    »Nie wieder klauen«, schworen sie sich. Doch diese Versprechen hielten meist nicht einmal so lange wie das Leben derer, die es gegeben hatten.
    Da es aus Sicht der Einwohner Staufens auch keinen Schutz innerhalb ihrer Häuser gab, begannen sie irgendwann damit, sich wieder aus ihren Behausungen zu wagen.
    »Es ist scheißegal, ob wir in unseren Hütten verrecken oder davor krepieren«, brachte es der ›Pater‹ auf den Punkt, als er sich mit seinem Nachbarn unterhielt. Die beiden waren die Ersten, die sich todesmutig aus dem anfänglich sicher geglaubten Schutz ihrer vier Wände trauten.
    Nachdem sie fast gleichzeitig die Türen geöffnet hatten, um vorsichtig nach draußen zu spitzeln, waren sie aufeinandergetroffen und unterhielten sich seither angeregt über das Thema Nummer eins. Sie vereinbarten, zusammen auf die Suche nach etwas Essbarem zu gehen und auch gemeinsam den Seelesgraben aufzusuchen, um am Wasser zu riechen, ob es noch verpestet war. Wenn nicht – wie auch immer sie dies feststellen wollten – , würden sie dort Trinkwasser schöpfen. »Wenn das Wasser immer noch vergiftet ist, haben wir Pech gehabt … , dann packt’s uns eben«, meinte der Nachbar lakonisch, während schon die allseits bekannte Antwort des ›Paters‹ kam.
    Trotz des lockeren Spruches über die ›Seelesgrabenvergiftung‹ schien der Nachbar an seinem Leben zu hängen, denn er schlug vor, dass sie sich nicht berühren und einen Sicherheitsabstand einhalten sollten, während sie ein ganzes Stück dem Ursprung des Baches folgten, um sauberes Wasser zu holen. »Diese Mischpoke wird nicht den ganzen Bach bis zur Quelle vergiftet haben«, sagte er hoffnungsvoll, »… es sei denn, dort leben ebenfalls Juden.«
    Nachdem sie weder etwas gerochen noch die Pest im klaren Wasser – in welcher Form auch immer – gesehen hatten, füllten sie ihre Kübel und trugen sie nach Hause. Danach machten sie sich gemeinsam auf die Suche nach etwas Essbarem. Vorsichtig waren sie durch das wie ausgestorbene Dorf gestreift, das im hellen Schein der Sonne gar nicht so erschreckend tot wirken würde, … wenn der erbärmliche Gestank nicht wäre.
    Roch es an einer Stelle nach Urin und Kot, wehte ihnen woanders Schweiß- und Fäulnisgeruch entgegen. Aber egal, wo sie gerade waren: Den süßlichen Geruch des Todes hatten sie ständig in ihren Nasen. Irgendwann vernahmen sie von irgendwoher undefinierbare Geräusche.
    »Hörst du das auch?«, zischte der ›Pater‹.
    »Ja! Das klingt so, als wenn es ein Viech wäre.«
    »Pssst«, mahnte Hemmo Grob seinen Nachbarn zur Ruhe und hielt ein Ohr in die Richtung, aus der er das Geräusch wähnte.
    Um sich besser konzentrieren zu können,

Weitere Kostenlose Bücher