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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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und er den jugendlichen Dieb nicht erwischt hatte. Seit die Menschen wieder aus ihren Löchern gekrochen kamen, wusste er nicht mehr, wie er sich vor solcher Dreistigkeit schützen sollte. Um weitere Münz-Diebstähle zu verhindern, blieb ihm nichts anderes übrig, als es dem Habicht gleichzutun, der seine Opfer nicht mehr aus den Augen ließ, wenn er sie erst einmal angepeilt hatte.
    Ja, die Toten waren seine Opfer – auch wenn er sie nicht umbrachte, so fledderte er sie. Damit er die Sache mit dem ›Totengeld‹ in jedem einzelnen Fall möglichst schnell würde klären können, musste ihm Fabio immer unverzüglich berichten, wann und wo er eine Leiche abholen würde. Der Totengräber wollte ab jetzt immer persönlich an Ort und Stelle sein, um das Geld gleich in Empfang nehmen zu können.
     
    Mittlerweile hatte Fabio sage und schreibe 183 Pesttote mehr oder weniger ordentlich unter die Erde gebracht, und sieben lagen noch – Schulter an Schulter – auf einer Wiese am Weißachbach, weil er bisher keine Zeit gehabt hatte, Gruben für sie auszuheben.
    Immer wenn er sich an diese kräftezehrende Arbeit hatte machen wollen, war er von seinen Auftraggebern Ruland Berging oder Propst Glatt irgendwohin gerufen worden, um schon wieder einen Toten abzuholen.
    Ich sollte sie einfach verbrennen, hatte er sich schon eine ganze Zeit lang gedacht und sich nach einem geeigneten Platz umgesehen.
     
    Momentan hatte der Totengräber anderes im Kopf, als gestohlenem Geld nachzutrauern. Da gerade der Wagen des Bunten Jakob ins Dorf hereinholperte, wollte er jetzt erst einmal ein paar dunkle Geschäfte machen. Der fahrende Händler fürchtete weder Tod noch Teufel und hatte trotz der Pest kaum Angst, nach Staufen zu kommen, um hier außerhalb der offiziell genehmigten Marktzeiten profitable Schweinereien zu betreiben. Deswegen scherte er sich auch nicht um das Schild am Ortseingang, auf das für die vielen Analphabeten ein Totenkopf gemalt worden war.
    Der zwielichtige Händler berichtete Ruland Berging, dass andernorts die ›Pestilenzischen Totengrübel‹ erschossen werden durften, wenn man sie abseits ihrer Arbeit beim Geschäftemachen antraf. »Auf diese Weise sind schon vor sieben Jahren in Immenstadt acht Totengräber hintereinander ums Leben gekommen!«
    Aber Ruland Berging wusste auch so, dass er jetzt – da er es zunehmend auch wieder mit Lebenden zu tun hatte – ganz besonders vorsichtig sein musste. Irgendwann würden sie merken, dass er der große Gewinner der Pest war, weil ihm die Menschen ihre letzten Heller hatten geben müssen. Neid und Missgunst würden um sich greifen und irgendwann würde auch er zum Abschuss freigegeben. Er machte sich nichts vor und wusste, dass die Leute nur allzu schnell dazu bereit sein würden, ihn als Schuldigen für alles Leid dieser Welt auszumachen. Und dann gnade ihm Gott, was natürlich nicht geschehen würde.
    Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass es die Juden gibt. Vielleicht sollte ich doch noch mit Hemmo sprechen, dachte er sich, während er sein Geschäft mit dem Bunten Jakob abwickelte.
    »Drei Gulden«, forderte er vom Händler, bekam aber nur »Einen!« zur Antwort.
    »Also gut … Mein letztes Angebot: Zwei!«
    »Hand drauf«, ergänzte er, als er merkte, dass sein ihm in Bezug auf Kaltschnäuzigkeit ebenbürtiges Gegenüber nahe daran war, einvernehmlich zu nicken.
    »So weit geht die Freundschaft nicht«, antwortete der zwar mutige, dennoch aber vorsichtige Händler. Er wusste natürlich auch, dass die Pest eine ansteckende Seuche war, und mied jeden direkten Körperkontakt. So ließ er vom Totengräber die gut zwei Dutzend Rosenkränze in einen kleinen Rupfensack gleiten, ohne sie selbst zu berühren. Er würde die Gebetsperlen erst in die Hand nehmen, nachdem sie mindestens zwei Tage lang in Essig gelegen hatten.
    Leck mich: Ein gutes Zusatzgeschäft, dachte der Totengräber erfreut. Er konnte ja nicht wissen, dass der Bunte Jakob das Zigfache herausschlagen würde, wenn er die Rosenkränze weiterverkaufte. In Zeiten wie diesen hatten Devotionalien jeder Art Hochkonjunktur.
    »Wenn du Spielwürfel hast, kauf’ ich sie dir das nächste Mal ebenfalls ab«, raunte der fliegende Händler, der schon wieder zum Aufbruch rüstete.
    »Was willst du denn damit?«, fragte der Totengräber verdutzt.
    »Das geht dich überhaupt nichts an«, kam es schnippisch zurück.
    Ruland Berging wusste nicht, dass sein fieser, aber überaus fleißiger, Handelspartner in den

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