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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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zu stülpen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es gegen den Pesttod im Grunde genommen kein Mittel gab. So versuchten sie, den Sterbenden, so gut es ging, Trost zu spenden und deren geschundene Seelen im Angesicht des Todes Gott näherzubringen. Da sich der Propst aus Feigheit nur selten blicken ließ, holten sie die schöne Kreuzigungsgruppe aus der nahe gelegenen Ölbergkapelle und funktionierten einen kleinen Raum des Spitals zum Betraum um.
    »Ihr seid ein gotterbärmlicher Feigling«, setzte ihm Schwester Bonifatia couragiert entgegen, als der Priester einmal mehr händeringend nach einer Ausrede suchte, den Sterbenden nicht nahe kommen zu müssen.
    »Die Sakramente kann auch mein Kanonikus spenden. Er ist sowieso direkt vor Ort und bekommt immer mit, wann es nötig ist«, war die lapidare Antwort des ansonsten so wortgewandten Kirchenmannes, der noch anfügte, dass er die Toten zum Pestfriedhof hinunterbegleiten und dies viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Dass er sich dies mittlerweile auch nicht mehr traute, verschwieg er der streitbaren Schwester.
    Da Bonifatia nicht lockerließ, versuchte der Propst, seine unverständliche Haltung auch noch damit zu begründen, indem er ihr vorjammerte, dass seine Pestgewandung immer noch nicht fertig sei, obwohl er diese gleich zu Beginn des Ausbruches der Pest bei Agath, der einzigen Näherin des Dorfes, in Arbeit gegeben hätte.
    »In die Gewandung werden die Symbole der menschlichen Sterblichkeit eingestickt. Ich habe den Totenschädel und die Darstellung des Fegefeuers als äußeres Zeichen der Bußfertigkeit ausgewählt«, berichtete er pathetisch.
    Schwester Bonifatia schüttelte den Kopf und sagte ihm mutig ins Gesicht, dass sie ihn nicht mehr wiedererkennen würde und sehr enttäuscht von ihm wäre. Lästernd versicherte sie ihm, dass ihm die schön bestickte Pestgewandung sicher gut stehen werde.
     
    Bevor die ehemalige Franziskanerin, die im Grunde genommen immer noch ihrem Orden angehörte, und der Kanoniker ihre tägliche Arbeit an den Pestkranken begannen, beteten sie für ihre Patienten, vergaßen dabei aber nicht, auch an ihr eigenes Seelenheil zu denken. Die Schwester hatte schon im Genhofener Leprosenhaus so viel Schmerz gesehen, dass sie selbst den Tod nicht mehr fürchtete. Sie plagte lediglich die Sorge, dass es sie vor dem jungen Kanoniker erwischen und dieser nach ihrem Tod ungehindert den verachtungswürdigen Gedanken des feigen Propstes folgen würde.
    Da es dann niemanden mehr gäbe, der sich mutig um die pflegebedürftigen Pestopfer kümmern würde, wäre dies eine Katastrophe. Der Kanoniker machte sich zwar schon recht gut, war aber ohne sie doch noch ziemlich hilflos. So beschwor sie auch heute die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung vom Himmel herunter, um Gott an ihrer Seite zu wissen. Wenn die beiden nicht so gottesfürchtig wären, könnten sie das Leid und Elend hier schon längst nicht mehr ertragen. Täglich starben ihnen die Patienten unter den Händen weg. Dennoch keimten immer neue Hoffnungen, die dann aber jäh zerstört wurden. Der Tod war nicht wählerisch und nahm sich, was sich gerade anbot. Fast schien es so, als habe er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
     
    *
     
    Fabio schaute mittlerweile ohne Aufforderung jeden Morgen in der Krankenanstalt vorbei und fragte, ob es Arbeit für ihn gäbe. Die im Spital Verstorbenen rutschten dem Totengräber oftmals durch, weil er nicht den Mut aufbrachte, der Schwester zu sagen, dass die Toten nur dann bestattet würden, wenn ihre Angehörigen dafür bezahlt hatten. So legte er Fabio die Pflicht auf, ihm die Leichen aus dem Spital zu zeigen, damit er, falls er sie aufgrund ihrer meist grausam verzerrten oder entstellten Gesichter überhaupt noch erkannte, wenigstens das nehmen konnte, was sie am Leibe trugen und bei sich führten, oder, was ihm viel lieber war, bei den Hinterbliebenen das Totengeld einfordern konnte.
    Es wurmte ihn sowieso, dass er es aufgrund des vorhandenen Spitals seinen Kollegen anderer Orte nicht gleichtun und den Kranken gegen zusätzliche Bezahlung ›Pestkuren‹ verordnen konnte, bevor sie sowieso starben. In den Städten war es längst Usus, dass sich die seriösen Ärzte tagtäglich gegen Pfuscher, Henkersknechte, Bader, Kräuterweiber, Wehmütter, abtrünnige Pfaffen und eben auch gegen Totengräber wehren mussten, die aus der Not Kapital schlagen wollten, indem sie den gutgläubigen Kranken teure Wunderkuren andrehten. Die Bezahlung

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