Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
kniffen beide die Augen zu, während sie – nachdem sich Hemmo Grob getäuscht zu haben schien – angestrengt in alle Richtungen lauschten.
    »Ich glaube, dass es von dort kommt«, unterbrach der Nachbar die Stille.
    »Lass uns nachsehen!«
    Etwas ängstlich folgten sie den in Abständen hörbaren Geräuschen und orteten sie rasch als das Geblöke eines Schafes aus Richtung des Schindelmacherhauses. Als sie dort waren, hielten sie ihre Ohren an die Tür, ohne diese zu berühren. Da sie Angst davor hatten, dass ihnen durch die Ritzen der Pesthauch des Todes entgegenströmen könnte, hielten sie sicherheitshalber die Luft an.
    »Eindeutig Schafgeblöke!«
    Sie sahen sich hilflos an.
    »Was sollen wir jetzt tun?«
    Der ›Pater‹ klopfte mit einem Stock an die Tür, bekam aber keine Antwort.
    »Da ist niemand drin.«
    Wieder blökte ein Schaf.
    »Ist niemand da?«
    Nachdem die beiden ein paar Mal gerufen und immer fester an die Tür gehämmert hatten, rupfte der ›Pater‹ ein Grasbüschel aus, um es wie einen Handschuh zu benutzen. Vorsichtig drückte er die Holzklinke herunter.
    »Abgeschlossen!«
    Sie klopften und riefen noch einmal, bevor sie die Tür gewaltsam öffneten. Der Nachbar fiel mitsamt dem zersplitterten Holz ins Haus, rappelte sich aber sofort wieder auf und sprang nach draußen, so schnell es ihm möglich war.
    »Pfui Teufel! Es stinkt brutal«, stellte er hastig, nach Frischluft ringend, fest und rannte zum Seelesgraben, um sich darin zu reinigen. Währenddessen wagte sich der ›Pater‹ vorsichtig – die Luft ebenfalls anhaltend – ins Haus hinein. Man konnte ihm weißgott viel nachsagen, aber feige war er nicht.
    Als er im Halbdunkel des Raumes stand und seine Pupillen sich geweitet hatten, wurde er gewahr, woher der Gestank kam. »Die Schindelmacher hat es allesamt erwischt«, rief er nach draußen, während er dem Mutterschaf mit seinem gräsernen Handschuh einen festen Klaps verpasste und dann ebenfalls schnell das Weite suchte.
    »Die ganze Familie Senger von der Pest dahingerafft. Was für ein Elend! Ich kann mich noch erinnern, wie sie vor über 20 Jahren aus dem Schindelmacherdorf Wallburg – ich glaube, es liegt irgendwo im Schwarzwald – nach Staufen gekommen ist.«
    Für einen langatmigen Monolog – sein Nachbar sass immer noch im Seelesgraben und schrubbte sich mit Bachsand ab – hatte er jetzt aber keine Zeit. Er musste das Schaf einfangen, das jetzt ihm allein gehören würde und das er nicht mit dem Nachbarn zu teilen brauchte. Das verängstigte Tier hatte sich durch den Krach und den plötzlichen Lichteinfall derart erschrocken, dass es, wie vom Teufel besessen, die letzte Kraft gebündelt hatte und davongerannt war. Obwohl er das ganze Dorf danach absuchte, konnte er das wertvolle Tier nirgends finden. Bei seiner Suche merkte er nicht, dass er durch eine fingerbreit geöffnete Tür – hinter der sich jemand zufrieden die Hände rieb – beobachtet wurde. So zog er verärgert ab.
     
    *
     
    »Ihr Scheißjuden seid an allem schuld«, schrie der ›Pater‹ stinksauer aus voller Brust, während er bei den Bombergs vorbeikam. Als er daraus auch noch das Gegacker von Hühnern hörte, drehte er völlig durch und bewarf das Haus mit Steinen. »Ich krieg’ euch! … Dreckspack«, schrie er noch lauter als zuvor. »Und euer Federvieh dazu!«
    Die Bombergs hatten bisher verhältnismäßig wenig Probleme gehabt. Sie hatten wieder genügend Eier legende Hühner gezüchtet und bekamen – wie vereinbart – täglich zwei Kübel frisches Trink- und Brauchwasser aus dem Schlossbrunnen, die ihnen Lodewig nur allzu gerne brachte. Im Gegenzug durfte er täglich frische Eier und zwischendurch ein oder zwei Hühner mit ins Schloss zurück nehmen. Rosalinde bereitete dann daraus köstliche Speisen für seine Familie, die Wachen und die Dienerschaft. Um sowohl die Schlossbewohner als auch die Bombergs zu schützen, hielt sich der junge Mann strikt an sein Versprechen und nahm stets den kürzesten Weg, wobei er sich von nichts und niemandem aufhalten ließ und nichts und niemanden berührte, … nicht einmal Millers Katze, die er früher immer gerne gestreichelt hatte. Durch diese Vorgangsweise konnten sich die Mitglieder beider Familien wenigstens einigermaßen sicher sein, ihrer aller Leben zu schützen.

Kapitel 17
     
    Obwohl der Totengräber mit seinen Einnahmen zufrieden sein konnte, war er immer noch darüber verärgert, dass ihm Geld von einer ›seiner‹ Leichen geklaut worden war

Weitere Kostenlose Bücher