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Der Pfad der Dolche

Der Pfad der Dolche

Titel: Der Pfad der Dolche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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erforderte, obwohl sie kein Schwert wie ein hitzköpfiger Saldaeaner führen würde. Eine Königin sollte nachdenken, anführen und befehlen, was sie jedoch nicht bewerkstelligen konnte, wenn sie zu tun versuchte, was jeder Soldat in ihrem Heer besser konnte. »Und Ihr, Schwertträger?« fragte sie. »Habt Ihr zu dieser späten Stunde noch irgendwelche Bedenken?«
    Lord Baldhere wandte sich auf seinem goldverzierten Sattel um und schaute zu den nachfolgenden Reitern mit den Bannern zurück, die in bearbeitetem Leder und besticktem Samt aufbewahrt wurden. »Ich verberge nicht gern, wer ich bin, Majestät«, sagte er mißmutig und wandte sich wieder um. »Die Welt wird uns nur allzubald kennenlernen und erfahren, was wir getan haben. Oder was wir zu tun versucht haben. Wir werden sterben oder in die Geschichte eingehen oder beides, so daß sie ebensogut wissen können, welche Namen sie vermerken müssen.« Baldhere besaß eine scharfe Zunge, und er kümmerte sich lieber um Musik und seine Kleidung als um alles andere - diese gut geschnittene blaue Jacke war bereits die dritte, die er heute trug -, aber wie auch bei Serailla trog die Erscheinung. Die Verantwortung, die auf dem Schwertträger des Wolkenthrons lastete, wog weitaus schwerer als das Schwert in seiner edelsteinbesetzten Scheide. Seit dem Tod von Ethenielles Ehemann vor gut zwanzig Jahren hatte Baldhere die Truppen Kandors an ihrer Stelle im Felde befehligt, und die meisten ihrer Soldaten wären ihm sogar nach Shayol Ghul gefolgt. Er zählte nicht zu den größten Befehlshabern, aber er wußte, wann es zu kämpfen galt und wie er einen Sieg erringen konnte.
    »Der Treffpunkt muß unmittelbar vor uns liegen«, sagte Serailla unvermittelt, gerade als Ethenielle auf dem Gipfel des vor ihnen liegenden Passes den Kundschafter sein Pferd verhalten sah, den Baldhere vorausgeschickt hatte, ein durchtriebener Bursche namens Lomas, der einen Helmschmuck mit einem Fuchskopf trug. Seinen langen Speer schräg geneigt, vollführte er mit dem Arm die Geste, die ›Treffpunkt in Sicht‹ bedeutete.
    Baldhere wandte seinen stämmigen Wallach um, befahl der Eskorte mit donnernder Stimme anzuhalten - er konnte brüllen, wenn er wollte - und gab dem Kastanienbraunen dann die Sporen, um Ethenielle und Serailla wieder einzuholen. Es stand ein Treffen langjähriger Verbündeter bevor, aber als sie an Lomas vorüberritten, gab Baldhere dem Mann mit dem hageren Gesicht den knappen Befehl »zu wachen und Bescheid zu geben«. Falls etwas mißlänge, würde Lomas der Eskorte ein Zeichen geben, vorzurücken und die Königin in Sicherheit zu bringen.
    Ethenielle seufzte, als Serailla bei dem Befehl zustimmend nickte. Langjährige Verbündete, und doch schürte die Zeit das Mißtrauen. Ihr Vorhaben beunruhigte sie. Zu viele Regenten des Südens waren im letzten Jahr gestorben oder verschwunden, als daß sie sich beim Tragen der Krone noch wohl gefühlt hätte. Zu viele Länder waren so gründlich vernichtet worden, wie es nur ein Heer Trollocs bewerkstelligen konnte. Wer auch immer er war - dieser al'Thor hatte viele Fragen zu beantworten. Sehr viele.
    Hinter Lomas weitete sich der Paß zu einem ebenen Kessel, der fast zu klein war, um als Tal bezeichnet zu werden, und in dem die Bäume zu weit auseinander standen, um als Wald zu gelten. Lederblattbäume, Blautannen und Kiefern sowie einige wenige Eichen zeigten noch ein wenig Grün, aber die übrigen Bäume trugen braunes Laub oder wiesen nur noch kahle Zweige auf. Im Süden lag jedoch das, was diesen Ort zu einem guten Treffpunkt machte. Eine Turmspitze, schlank wie eine schimmernde, golden durchbrochene Säule, lag schräg geneigt und halbwegs verborgen an einem Hang, und die Spitze ragte gut siebzig Schritt über den Bäumen auf. Jedermann in den Schwarzen Hügeln wußte davon, aber das nächste Dorf war noch eine Reise von vier Tagen entfernt, und niemand würde sich der Spitze freiwillig auf mehr als zehn Meilen nähern. Die Geschichten um diesen Ort erzählten von Visionen des Wahnsinns, von umhergehenden Toten und der tödlichen Wirkung bei Berührung der Spitze.
    Ethenielle hielt sich nicht für abergläubisch, und doch erschauderte sie leicht. Nianh hatte erzählt, die Spitze sei aus dem Zeitalter der Legenden übriggeblieben und harmlos. Mit etwas Glück hatten die Aes Sedai keinen Grund, sich der vor Jahren geführten Unterhaltung zu entsinnen. Schade, daß die Toten nicht dazu gebracht werden konnten, hier umherzugehen. Eine

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