Der Pfad der Dolche
Was stand auf jenen Seiten, welche die Zeit nicht überdauert hatten? Sie hatte in einem Moment eine leichte Veränderung an Sareithas Tonfall bemerkt. Sie hatte Fragen. Später, wenn weniger Zuhörer dabei waren.
Als sich Renaile und Sareitha zurückzogen, zupfte Nynaeve ihre geteilten Röcke zurecht; durch die Unterbrechung eindeutig irritiert, öffnete sie erneut den Mund.
»Fahrt mit Eurer Demonstration fort, Nynaeve«, befahl Caire barsch. Ihr dunkles Gesicht war vielleicht so unbewegt wie die Oberfläche eines zugefrorenen Teichs, aber sie war ebenfalls nicht sehr erfreut.
Nynaeve bewegte bereits die Lippen, bevor ein Laut hervordrang, und als sie sprach, geschah es eilig, als befürchte sie, daß sie womöglich abermals unterbrochen würde.
Der nächste Teil der Lektion bestand darin, die Kontrolle über den Kreis weiterzugeben. Das mußte gleichfalls freiwillig geschehen, und selbst als sich Elayne zu Nynaeve ausstreckte, hielt sie den Atem an, bis sie die kaum merkliche Veränderung spürte, die bedeutete, daß jetzt sie die in sie hineinfließende Macht kontrollierte. Und jene, die in Nynaeve hineinfloß, natürlich ebenfalls. Sie war sich nicht sicher gewesen, daß es funktionieren würde. Nynaeve konnte mühelos einen Kreis bilden, wenn auch nicht sehr geschickt, aber die Führung weiterzugeben, schloß auch eine Art Verzicht mit ein. Nynaeve hatte normalerweise erhebliche Schwierigkeiten damit, Kontrolle abzugeben oder in einen Kreis eingebracht zu werden, genauso wie es ihr einst schwergefallen war, sich Saidar zu überlassen. Dies war auch der Grund dafür, warum Elayne im Moment die Führung beibehielt. Sie würde an Caire weitergegeben werden müssen, und Nynaeve schaffte es vielleicht nicht, sie zweimal loszulassen. Die Entschuldigungen mußten für sie weitaus leichter gewesen sein.
Elayne verband sich als nächstes mit Aviendha, damit Talaan tatsächlich erkennen konnte, wie dies mit einem Angreal geschah, soweit man es überhaupt sehen konnte, und es funktionierte einwandfrei. Aviendha lernte sehr schnell und verschmolz auf Anhieb mit der Verbindung. Talaan lernte ebenfalls schnell, wie sich herausstellte, und fügte ohne Zögern ihren noch stärkeren, durch das Angreal heraufbeschworenen Machtstrom hinzu. Elayne führte die Frauen eine nach der anderen in den Kreis, und sie selbst erschauderte beinahe unter dem gewaltigen Strom der Macht, die in sie hineinströmte. Niemand zog bisher auch nur annähernd soviel Macht heran wie sie selbst, aber die Machtströme summierten sich, besonders wenn ein Angreal im Spiel war. Elaynes Wahrnehmung steigerte sich mit jeder zusätzlichen Menge Saidar. Sie konnte die schweren Düfte in den durchbrochenen goldenen Dosen riechen, welche die Windsucherinnen um den Hals trugen, und sie voneinander unterscheiden. Sie konnte jede Falte und jede Naht an jedermanns Kleidung genauso deutlich ausmachen, als würde sie ihre Nase auf den Stoff pressen, wenn nicht noch deutlicher. Sie war sich der geringsten Luftbewegung auf ihrer Haut und in ihrem Haar bewußt, Liebkosungen, die sie ohne die Macht niemals wahrgenommen hätte.
Aber ihre Wahrnehmung beschränkte sich natürlich nicht nur darauf. Die Verbindung ähnelte in gewisser Weise dem Bund mit einem Behüter, war ebenso intensiv und irgendwie noch inniger. Sie wußte, daß eine kleine Blase vom Aufstieg auf den Hügel an Nynaeves rechter Ferse ihr leichte Schmerzen verursachte. Nynaeve sprach stets von robustem Schuhwerk, aber sie hatte eine Schwäche für leichte Schuhe mit viel Stickerei. Nynaeve sah Caire finster an, die Arme verschränkt, die Hand, die das Angreal hielt, spielte mit dem über ihre rechte Schulter gezogenen Zopf, ganz starr, und doch brodelte in ihrem Inneren ein Mahlstrom von Gefühlen. Angst, Sorge, Vorahnung, Verärgerung, Wachsamkeit und Ungeduld vermischten sich, und durch all das hindurch und manchmal überlagernd drohten Wärmewellen und Hitzewogen zu entflammen. Nynaeve unterdrückte letztere rasch, besonders die Hitze, aber sie kehrten stets zurück. Elayne glaubte, sie fast erkennen zu können, aber es war wie etwas, das man nur aus dem Augenwinkel sah und fort war, wenn man den Kopf wandte.
Überraschenderweise empfand auch Aviendha Angst, aber nur wenig und gut beherrscht, ansonsten aber war sie von Entschlossenheit erfüllt. Garenia und Kirstian, die sichtbar zitterten, waren reinem Entsetzen nahe in einem Maße, daß es verwunderte, daß sie die Quelle auch nur annähernd
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