Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
Grinsend hob Dalinar sein Schwert hoch über den Kopf und stellte sich über den Soldaten.
Der Parschendi rollte unbeholfen zur Seite und hielt sich den Arm fest, der zweifellos gebrochen war. Entsetzt blickte er zu Dalinar hinauf, und Angstsprengsel erschienen überall um ihn herum.
Er war kaum mehr als ein Kind.
Dalinar erstarrte, hielt die Klinge weiter über dem Kopf, hatte die Muskeln angespannt. Diese Augen … dieses Gesicht … Die Parschendi waren zwar keine Menschen, aber ihre Mienen drückten die gleichen Gefühle aus wie die der Menschen. Abgesehen von der marmorierten Haut und den seltsamen, rüstungsartigen Auswüchsen hätte dieser Junge auch einer von Dalinars Stallburschen sein können. Was mochte er jetzt über sich sehen? Ein gesichtsloses Ungeheuer in einer undurchdringlichen Rüstung? Was hatte dieser Junge für eine Geschichte? Er musste noch ein Kind gewesen sein, als Gavilar umgebracht worden war.
Dalinar taumelte zurück, während seine Erregung verschwand. Einer der Kobaltgardisten kam zu ihm und rammte dem Jungen beiläufig das Schwert in den Hals. Dalinar hob noch die Hand, aber es geschah so schnell, dass er nichts mehr aufhalten konnte. Der Soldat hatte Dalinars Geste überhaupt nicht bemerkt.
Dalinar senkte die Hand. Seine Männer hasteten um ihn herum und überrannten die Fliehenden. Die Mehrheit der Parschendi kämpfte noch und leistete auf der einen Seite Sadeas Truppen und auf der anderen Seite denjenigen Dalinars Widerstand. Der östliche Rand des Plateaus lag rechts von Dalinar in geringer Entfernung. Er war wie ein Speer in die Streitmacht der Parschendi geschnellt, hatte sie in der Mitte durchbohrt und nach Norden und Süden auseinandergetrieben.
Um ihn herum lagen die Toten. Viele von ihnen waren mit dem Gesicht nach unten gefallen, und Pfeile oder Speere von Dalinars Armee steckten in ihren Rücken. Einige Parschendi lebten noch, waren jedoch dem Tode nahe. Sie summten oder wisperten sich ein zwar seltsames, aber ergreifendes Lied zu. Es war das Lied, das sie immer dann sangen, wenn sie den Tod erwarteten.
Ihr geflüsterter Gesang erhob sich wie die Flüche der Geister auf dem Seelenmarsch. Dalinar hatte das Todeslied der Parschendi schon immer für ihr schönstes gehalten. Es schnitt durch das Grunzen, Klirren und Schreien der nahen Schlacht hindurch. Wie stets sangen die Parschendi in vollkommenem Gleichklang miteinander. Es war, als würden sie alle dieselbe Melodie aus der Ferne hören und mit rasselndem Atem und blutigen Lippen nachsingen.
Der Kodex, dachte Dalinar und drehte sich zu seinen kämpfenden Soldaten um. Verlange von deinen Soldaten niemals ein Opfer, das du nicht auch selbst bringen würdest. Lass sie nie unter Bedingungen kämpfen, die für dich selbst unannehmbar sind. Bitte nie einen Mann um etwas, womit du dir selbst nicht die Hände schmutzig machen würdest.
Er fühlte sich elend. Dies hier war nicht schön. Es war auch nicht glorreich. Es war keine Stärke, keine Macht, kein Leben darin. Es war widerlich, abstoßend und einfach schrecklich.
Aber sie haben Gavilar umgebracht!, dachte er und versuchte die Übelkeit zu überwinden, die er plötzlich wieder verspürte.
Vereinige sie …
Roschar war einmal vereinigt gewesen. Hatte dies die Parschendi eingeschlossen?
Du weißt nicht, ob du den Visionen vertrauen kannst oder nicht, sagte er zu sich selbst, als sich seine Ehrengarde hinter ihm aufstellte. Sie könnten von der Nachtschauerin oder den Bringern der Leere herrühren. Oder aus einer ganz anderen Quelle kommen.
Nun wirkten diese Einwände schwach. Was hatten ihm die Visionen denn aufgetragen? Er sollte Frieden nach Alethkar tragen, sein Volk vereinigen und Gerechtigkeit und Ehre bringen. Sollte er die Visionen nicht lieber an ihren Auswirkungen messen?
Er hob die Splitterklinge an seine Schulter und ging ernst zwischen den Gefallenen hindurch auf die nördliche Linie zu, wo die Parschendi zwischen seinen und Sadeas’ Soldaten gefangen waren. Seine Übelkeit wurde stärker.
Was war mit ihm los?
»Vater!« Adolins Ruf klang verzweifelt.
Dalinar drehte sich zu seinem Sohn um, während dieser auf ihn zulief. Der Panzer des jungen Mannes war mit Parschendi-Blut überzogen, doch seine Klinge schimmerte frisch und rein.
»Was sollen wir tun?«, fragte Adolin keuchend.
»Ich verstehe nicht«, sagte Dalinar.
Adolin wandte sich um und zeigte nach Westen – auf das Plateau südlich von jenem, auf dem Dalinars Armee vor über einer Stunde
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