Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
oder?«
»Nein.«
»Und du bist noch immer unsicher?«
»Ja.«
»Das genügt.« Jasnah kniff die Augen zusammen, ein tröstendes Lächeln erschien auf ihren Lippen. »Wenn es dir hilft, mit deinen Gefühlen klarzukommen, mein Kind, dann musst du begreifen, dass ich etwas Gutes tun wollte. Manchmal frage ich mich, ob ich mit Hilfe meines Seelengießers nicht mehr erreichen könnte.« Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu. »Den Rest des Tages hast du frei.«
Schallan blinzelte. »Was?«
»Frei«, sagte Jasnah. »Du kannst gehen. Tu, was du willst. Du wirst vermutlich Bettler und Schankmädchen zeichnen, aber das geht mich nichts an. Weg mit dir.«
»Ja, Hellheit! Danke!«
Jasnah machte eine abwehrende Handbewegung. Schallan ergriff ihren Zeichenblock und hastete aus dem Alkoven. Seit dem Tag, an dem sie sich davongestohlen und im Garten gezeichnet hatte, war ihr keine freie Zeit mehr zugestanden worden. Sie war deswegen sanft zurechtgewiesen worden; Jasnah hatte ihr befohlen, nicht mehr nach draußen zu gehen und sich in ihrem Zimmer auszuruhen.
Schallan wartete ungeduldig, als die Parscher-Diener sie im Aufzug zum Erdgeschoss des Schleiers hinunterfuhren. Dann eilte sie in die große, höhlenartige Halle hinaus. Es war ein langer Weg bis zu den Gastquartieren. Als sie dort eintraf, nickte sie den Dienern zu, die hier arbeiteten. Sie waren zur Hälfte Wächter und zur anderen Hälfte Hausmeister und verzeichneten, wer kam und ging.
Mit ihrem dicken Messingschlüssel öffnete sie die Tür zu Jasnahs Zimmern, schlüpfte nach drinnen und schloss die Tür wieder hinter sich. Das kleine Wohnzimmer mit dem Teppich und den beiden Sesseln vor dem Kamin wurde von Topasen erhellt. Auf dem Tisch stand noch ein halbvolles Glas mit orangefarbenem Wein, das von Jasnahs Forschungen der vergangenen Nacht stammte; daneben befand sich ein Teller mit einigen Brotkrumen darauf.
Schallan huschte in ihr eigenes Zimmer, schloss auch hier die Tür sorgfältig und nahm den Seelengießer aus ihrer Schutztasche. Das warme Glühen der Edelsteine badete ihr Gesicht in weißes und rotes Licht. Sie waren so groß und daher so hell, dass es schwerfiel, sie gezielt anzusehen. Jeder von ihnen war zehn oder zwanzig Brome wert.
Sie war gezwungen gewesen, sie im letzten Großsturm draußen zu verstecken, damit sie sich aufladen konnten, und auch das hatte ihr große Angst bereitet. Sie holte tief Luft, kniete sich hin und entfernte einen kleinen Holzsplitter von der Unterseite des Bettes. Sie übte seit etwa zehn Tagen und konnte den Seelengießer noch immer nicht bedienen. Sie hatte versucht,
gegen die Edelsteine zu klopfen, sie zu drehen, die Hand zu schütteln und die Finger auszustrecken, so wie Jasnah es auch getan hatte. Sie hatte ein Bild nach dem anderen studiert, das sie von dem Prozess gezeichnet hatte. Sie hatte es mit Reden, Konzentrieren und sogar Betteln versucht.
Allerdings hatte sie gestern ein Buch gefunden, das einen wertvollen Hinweis zu geben schien. Es behauptete, Summen würde den Seelengießer wirksamer machen. Es schien zwar nur eine unbedeutende Anmerkung gewesen zu sein, aber es war doch mehr, als sie in den anderen Werken gefunden hatte. Also setzte sie sich auf ihr Bett, zwang sich zur Konzentration, schloss die Augen, hielt das Holzstück in der Hand und stellte sich vor, wie sie es in Quarz verwandelte. Dann summte sie.
Doch nichts geschah. Sie summte trotzdem weiter, versuchte es mit verschiedenen Tonlagen und konzentrierte sich. Etwa eine halbe Stunde richtete sie all ihre Aufmerksamkeit auf ihr Ziel, aber schließlich schweiften ihre Gedanken doch ab. Eine neue Sorge nagte an ihr. Jasnah war eine der brillantesten und verständnisvollsten Gelehrten der Welt. Sie hatte ihren Seelengießer an eine Stelle gelegt, wo er gestohlen werden konnte. Hatte sie Schallan vielleicht mit einer Attrappe hinters Licht geführt?
Das schien ihr weit hergeholt zu sein. Warum hatte Jasnah die Falle nicht bereits zuschnappen lassen und Schallan als Diebin entlarvt? Da sie den Seelengießer nicht bedienen konnte, suchte sie in allen Richtungen nach einer Erklärung.
Sie stellte das Summen ein und öffnete die Augen. Der Holzsplitter hatte sich nicht verwandelt. So viel zu diesem Hinweis, dachte sie und legte ihn mit einem Seufzer beiseite. Sie hatte sich so große Hoffnungen gemacht.
Dann legte sie sich auf das Bett und starrte die braune Steindecke an, die wie der Rest des Konklaves unmittelbar aus dem Berg herausgemeißelt
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