Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)

tiefblaue Laterne hoch. Schallan ging an seiner Seite und ließ ihn reden, denn sie war neugierig auf das, was er zu sagen hatte.
    »Wir glauben, dass es die Bringer der Leere wirklich gegeben hat, Schallan. Sie waren eine Geißel und eine Plage. Unzählige Male sind sie über die Menschheit hergefallen. Zuerst haben sie uns aus den Stillen Hallen vertrieben, dann haben sie versucht, uns hier in Roschar zu vernichten. Sie waren nicht bloß Sprengsel, die sich unter den Felsen versteckt haben und hervorgekrochen sind, um jemandem die Wäsche zu stehlen. Sie waren Kreaturen mit einer schrecklich zerstörerischen Macht, die in den Tiefen der Verdammnis geschmiedet und aus Hass geschaffen wurden.«
    »Von wem?«, fragte Schallan.
    »Wie bitte?«
    »Wer hat sie denn geschaffen? Der Allmächtige wird doch wohl nicht etwas aus Hass geschaffen haben. Wer also hat sie ins Dasein gerufen?«
    »Alles hat zwei Seiten, Schallan. Der Allmächtige ist eine Kraft des Guten. Und als Gleichgewicht dazu braucht das Kosmeer die Bringer der Leere.«
    »Je mehr Gutes der Allmächtige tut, desto mehr Böses erschafft er als notwendige Nebenfolge? Was hat es dann für
einen Sinn, etwas Gutes zu tun, wenn dadurch gleichzeitig Böses geschaffen wird?«
    »Ich sehe, dass Jasnah Eure philosophische Ausbildung vorangetrieben hat.«
    »Das ist keine Philosophie«, sagte Schallan, »sondern einfache Logik.«
    Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass Ihr wirklich in die Tiefen der Theologie hinabsteigen wollt. Es reicht zu sagen, dass die reine Güte des Allmächtigen die Bringer der Leere erschaffen hat, aber die Menschen können das Gute wählen, ohne dadurch Böses hervorzurufen, denn als Sterbliche haben sie eine Doppelnatur. Die einzige Möglichkeit des Menschen, das Gute im Kosmeer zu vermehren, ist – es zu tun. Deshalb kann das Gute das Böse übertrumpfen.«
    »Also gut«, sagte sie, »aber die Erklärung für die Bringer der Leere kaufe ich Euch nicht ab.«
    »Ich war der Meinung, Ihr seid gläubig.«
    »Das bin ich auch. Aber nur weil ich den Allmächtigen ehre, bedeutet das noch nicht, dass ich jede Erklärung hinnehme, Kabsal. Es mag ja Religion sein, aber es muss noch immer einen Sinn ergeben.«
    »Habt Ihr mir nicht vor einiger Zeit gesagt, dass Ihr nicht einmal Euch selbst versteht?«
    »Ja.«
    »Und da erwartet Ihr, die genaue Funktionsweise des Allmächtigen zu begreifen?«
    Sie kniff die Lippen zusammen. »Also gut. Aber ich will trotzdem mehr über die Bringer der Leere hören.«
    Er zuckte die Schultern, als sie ihn in einen Archivraum führte, der mit Bücherregalen angefüllt war. »Ich habe Euch das Grundlegende bereits gesagt, Schallan. Die Bringer der Leere waren eine Manifestation des Bösen. Wir haben neunundneunzigmal erfolgreich gegen sie gekämpft und wurden dabei von den Herolden und ihren auserwählten Helfern – den zehn Orden –
unterstützt, die wir die Strahlenden Ritter nennen. Und schließlich kam Aharietiam, die Letzte Wüstwerdung. Die Bringer der Leere wurden in die Strahlenden Hallen zurückgeworfen. Die Herolde folgten ihnen und stießen sie aus dem Himmel. Damit endete Roschars Heroldepoche. Die Menschheit trat in das Zeitalter der Einsamkeit ein – in die moderne Zeit.«
    »Aber warum ist alles davor so bruchstückhaft?«
    »Das alles ist Tausende und Abertausende von Jahren her, Schallan«, sagte Kabsal. »Es geschah vor dem Einsetzen der Geschichte, ja noch vor der Zeit, in der die Menschen lernten, Stahl zu schmieden. Man musste uns Splitterklingen schenken, denn sonst hätten wir den Bringern der Leere nur mit Keulen in den Händen gegenübergestanden.«
    »Aber wir hatten die Strahlenden Ritter und die Silbernen Königreiche auf unserer Seite.«
    »Geformt und angeführt von den Herolden.«
    Schallan runzelte die Stirn und zählte die Regalreihen ab. Sie blieb bei der richtigen stehen, gab Kabsal ihre Laterne, ging den Gang entlang und zog die Biografie aus dem Bord. Kabsal folgte ihr und hielt die Laternen hoch.
    »Da steckt doch mehr dahinter«, sagte Schallan. »Sonst würde Jasnah nicht so tief graben.«
    »Ich kann Euch sagen, warum sie das tut«, meinte er.
    Schallan sah ihn fragend an.
    »Versteht Ihr nicht?«, meinte er. »Sie versucht zu beweisen, dass es die Bringer der Leere nicht wirklich gegeben hat. Sie will zeigen, dass dies alles nur die Erfindungen der Strahlenden sind.« Er machte einen Schritt nach vorn. Das Lampenlicht beleuchtete die Bücher zu beiden Seiten und ließ sein