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Der Pfad der Woelfin

Der Pfad der Woelfin

Titel: Der Pfad der Woelfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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die wir von ihm hörten. Und das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er den blutigen Schafskopf durch die Luft schleuderte.
    Das arme Tier erschien mir selbst in diesem Zustand weniger häßlich als Lecock, dessen Kopf noch fest auf den Schultern saß ...
    *
    Die nächsten Stationen unserer Wanderschaft führten uns, wenn man den Wegweisungen der Leute, die wir trafen, glauben durfte, direkt dem Meer entgegen.
    Aber wir brauchten den ganzen Herbst, bis wir es das erste Mal sahen.
    Bis wir die Gestade erreichten, gegen die es brandete.
    Ich wurde nun bald vier, und die gemeinsamen Erlebnisse schweißten Vater und mich immer enger zusammen.
    Ich liebte ihn wie keinen Menschen sonst - und ich litt, wenn ich feststellte, daß andere ihn mit gezielten oder unbedachten Bemerkungen in den Schmutz zogen.
    Niemand außer mir schien den Kern zu sehen, der unter seiner manchmal etwas ungeschickten, groben Schale verborgen lag.
    Aus Lecocks Verhalten hatte er jedenfalls eine Lehre gezogen. Seither blieben wir höchstens ein paar Tage an ein und demselben Fleck. Vater ließ sich auszahlen, und wir setzten unsere Reise fort.
    Wohin wir eigentlich wollten - von dem verschwommenen Wunsch abgesehen, einmal das Meer zu bestaunen -, schien Vater selbst nicht zu wissen. Er erschien mir von Natur aus ruhelos, und manchmal abends, an einem Feuer, kam es mir vor, als verberge er etwas Wichtiges vor mir.
    Wenn ich die Sprache auf Mutter brachte, verstärkte sich dieser Verdacht noch.
    »Du bist zu jung«, wich er aus. »Wenn du einmal älter bist, reden wir darüber.«
    Abend für Abend sagte ich: »Ich bin jetzt älter - wieder einen Tag. Reden wir jetzt über Mutter?«
    Manchmal amüsierte es ihn, meistens aber verärgerte es ihn eher.
    Es änderte nichts an meinen Gefühlen ihm gegenüber. Und auch nicht an seinen für mich.
    In diesem Auf und Ab der Stimmungen erreichten wir im Spätherbst 1514 (die Jahreszahl hatte ich aufgeschnappt und mir ganz stolz gemerkt) die Hafenstadt Marseille. Die beeindruckendste Ansammlung von Häusern, die ich je zu Gesicht bekommen hatte.
    Aber noch überwältigender war das, woran die Stadt grenzte. Ein Anblick, den ich mein ganzes Leben lang nicht wieder vergaß.
    Den Moment schloß ich tief und unauslöschlich in meine Seele ein.
    Den Moment, als meine Füße zum ersten Mal durch eisig kaltes, salziges Gewässer wateten .
    *
    Die verräucherte Hafenspelunke barst fast vor Matrosen von den Seelenverkäufern, die im Hafen ankerten.
    Vater hatte nicht gewagt, mich draußen warten zu lassen. Er war der felsenfesten Überzeugung, daß mich jemand stehlen könnte. Als er es mir gesagt hatte, quälte ich mir ein Lächeln ab. Aber tief im In-nern wußte ich gleich, daß seine Sorge nicht aus der Luft gegriffen war.
    Es wimmelte hier von Galgengesichter. Nicht nur in der Kneipe, mehr noch in den mit Menschenmassen gefüllten Gassen und auf den Landungsstegen, wo ebenfalls ein unablässiges Kommen und Gehen herrschte, besonders wenn ein Schiff seine Ladung löschte.
    Vater hatte mich die ganze Zeit getragen, sonst wäre ein kleines Kind wie ich wahrscheinlich totgetrampelt worden. Obwohl . ich sah auch Kinder, kaum älter und größer als ich, die sich zu behaupten wußten.
    »Sie sind hier aufgewachsen«, erklärte Vater, als ich ihn darauf aufmerksam machte. »Es sind keine Kinder wie du. Ihnen fehlt die Unschuld. Ich wette, sie würden uns ein Messer in die Rippen jagen, wenn sie Aussicht hätten, ein paar Münzen zu ergattern und sich ungeschoren davonzumachen .«
    Ich war schockiert. Aber ich glaubte ihm. Auf seine Art war Vater immer ein weiser Mann.
    Überall, wo er nach Arbeit fragte, hatte man ihn weggeschickt; nicht selten war ich der Grund, denn niemand wollte sich einen Vater mit seinem Kind aufladen.
    Der Hafen war Vaters letzte Hoffnung. Er hatte von Afrika gehört. Afrika lag jenseits des Meeres und war von dieser Küste aus nicht zu erblicken. Die Reise mit einem Schiff dauerte Wochen, bei schlechten Winden konnte ein Schiff ins Nirgendwo getrieben werden.
    Seit er hier in Marseille die Geschichten über die ferne Insel Afrika aufgeschnappt hatte, träumte Vater von einem Leben dort.
    Eines Abends hatte er es mir gestanden.
    Wir hatten uns in eine Nische zwischen zwei Häusern gedrückt, um die Nacht hungrig und frierend, eng aneinandergeschmiegt, zu überstehen.
    Es war eine der schönsten Nächte überhaupt geworden, denn seit langem war Vater wieder einmal aus sich herausgegangen. Ähnlich

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