Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfad der Woelfin

Der Pfad der Woelfin

Titel: Der Pfad der Woelfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
Antlitz vor all dem Elend verhüllen, das sich in Marseilles Gassengewirr und auf den Planken wenig stolzer Schiffe, die hier am Kai lagen, eingenistet hatte.
    Vater hatte sich einen Vollbart stehen lassen, der seine Züge nicht unbedingt verschönte, ihn aber - wie er es ausdrückte - respektabler wirken ließ.
    Von unten rumorte der aggressive Stimmenchor durch die Decke der Kneipe zu uns herauf, und aus einem der Nebenräume hier oben meinte ich leises Gestöhn zu hören.
    Dann trat uns die Frau entgegen, die uns gerufen hatte, und ich vergaß alles andere um uns herum.
    Mit einem Wort ausgedrückt war sie wunderschön, und ich wünschte mir spontan nichts sehnlicher, als daß Mutter so ausgesehen habe.
    Seltsam fand ich nur, wie offenherzig sie uns entgegenkam. In ein Gewand gehüllt, das so hauchdünn und seidig war, daß sich alles darunter abzeichnete. Die Rundungen dieser Frau waren nicht nur zu ahnen, sie waren zu sehen. Und allem Anschein nach legte sie es sogar darauf an .
    Ihr kastanienbraunes Haar fiel lockig bis auf ihre Schulterblätter und Brüste, die nicht halb so üppig waren wie die von Bernadette, aber auch bei weitem nicht so haltlos herabhingen, sondern straff und fest mit den harten Spitzen gegen den feinen Stoff stießen.
    Ich hörte Vater neben mir schlucken. Offenbar war auch er gefangen von soviel Schönheit.
    »Tretet näher«, sagte sie, und diesmal lenkten ihre Worte alle Aufmerksamkeit auf das Gesicht. Auf die dunkel durchbluteten Lippen und die schwelgerische, künstliche Blässe ihrer Haut.
    Zum erstenmal begegnete ich einer Frau, die sich gepudert hatte.
    Bei ihr paßte es. Bei ihr paßte alles.
    Als Vater zögerte, stieß ich ihn an, und wir gingen der madonnenhaften Erscheinung gemeinsam entgegen.
    »Ihr werdet Ärger bekommen«, sagte Vater, nachdem er sich ein paarmal geräuspert hatte.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Der Wirt unten im Haus hat uns gerade hinausgeschmissen.«
    »Und du denkst, er hat hier das Sagen?«
    Vater blickte ein wenig ratlos. Dann nickte er.
    »Er ist ein plumper Hund, der nur mit den Fäusten und dem Schwanz denken kann«, sagte sie, nicht einmal in abfälligem Ton. »Einer wie er verschafft sich den nötigen Respekt bei den betrunkenen, oft streitsüchtigen Matrosen - ich kann schließlich nicht überall sein und aufpassen!«
    Nun schauten wir beide sie verblüfft an. Ihren Worten war zu entnehmen, daß sie hier bestimmte.
    Eine Frau .
    »Gehört - Euch dieses Haus?« fragte Vater.
    »Natürlich.«
    Kopfschüttelnd beugte er sich zu mir herunter und flüsterte: »Wir gehen. Komm.«
    Ich stand immer noch wie gebannt.
    »Sei nicht töricht!« sagte sie und trat so nahe zu uns, daß ich ihren Duft einfing. Sie roch nach blühenden Sommerblumen.
    Ich war wie verzaubert.
    »Willst du, daß dein Kind aus dummem Stolz heraus stirbt? Du suchst Arbeit, hast du dem Wirt erzählt, und behauptet, dir für nichts zu schade zu sein . Beweise es!«
    Vater richtete sich wieder auf. Er mied es, sie anzusehen. »Wie?« fragte er.
    »Ich habe Gefallen an dir gefunden«, sagte sie unverblümt. »Schick die Kleine nach draußen, und ich erkläre dir, was ich von dir erwarte.«
    Ich sah, wie Vater die Hände zu Fäusten ballte.
    Eine Weile stand er nur da. Dann entspannten sich seine Hände, und seine Linke fuhr zärtlich durch mein glattes Haar, das mehr und mehr die Farbe von Kupfer annahm.
    »Geh«, sagte er weich, aber hinter dieser Sanftheit vibrierte eine Spannung, wie ich sie nie bei ihm erlebt hatte. »Warte draußen. Ich komme gleich zu dir .«
    Ich nickte. Dann sah ich zu der Frau. »Wie heißt du?« fragte ich.
    »Es wurde auch Zeit, daß mich jemand fragt«, lächelte sie. »Lucre-zia. Meine Heimaterde liegt in Italien, in Rom, nicht hier im Frankenreich.«
    Lucrezia.
    Der Name war wie eine fremdartige Melodie, die ich mit nach draußen nahm.
    Als ich durch die Tür trat, kam mir gerade ein torkelnder Matrose die Treppe entgegen.
    Ich erschrak.
    Aber dann rief Lucrezia in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Jetzt nicht! Komm später wieder!« Und der Angetrunkene machte so abrupt auf dem Absatz kehrt, daß er fast die Stufen hinunterstürzte.
    Lucrezias Zähne blitzten, als sie mir ein letztes Lächeln schenkte.
    Dann schloß ich die Tür.
    Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
    Vater blieb lange bei ihr. Sie mußten viel zu bereden haben. Erstaunlicherweise schnappte ich nicht einmal ein noch so gedämpftes Gemurmel auf. Die Tür schloß

Weitere Kostenlose Bücher