Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
der Salinen!«, rief Azdeki. »Endlich seid ihr von diesem Usurpator befreit. Ihr seid zurückgekehrt in das Licht des Heiligen Kaiserreichs.«
Aber Laerte sah kein Licht. Er sah nicht einmal die Gestalten, zwischen denen er sich hindurchschlängelte. Seine Augen waren blind vor Regen und Tränen. Sie kamen an einem Trupp Soldaten vorbei. Esyld zog ihn in eine Toreinfahrt. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, schlug sie die Kapuze zurück und nahm das Gesicht des Jungen in die Hände.
»Du musst hier weg. Du musst sofort weg. Und du musst jetzt mutig sein, stolzer kleiner Mann. Zeige dich beherzt!«
Sie streichelte ihm über die Wange und hielt seinen Blick mit traurigen Augen fest.
»Mein Vater«, schluchzte Laerte. »Mein Bruder …«
Entsetzen packte ihn. Sein Schmerz war so groß und sein Herz so wund, dass es ihm die Sprache verschlug. Seine Mutter und seine kleine Schwester saßen im Wehrturm, hilflos und allein. Hatte Meurnau sie etwa auch ihrem Schicksal überlassen? O ja, ganz bestimmt.
»Du kannst später um sie weinen«, sagte Esyld sanft. »Aber du darfst uns nie wieder so an der Nase herumführen. Dein Leben ist uns wichtig.«
Sie streichelte ihn noch einmal, lehnte ihre Stirn an seine und schloss die Augen. »Dein Leben ist mir wichtig«, stellte sie leise klar.
Laerte war, als träfe ihn ein heller Strahl. Plötzlich glaubte er zu wissen, was er zu tun hatte, und er wollte sich nur darauf konzentrieren: Esyld zu folgen, wo sie auch hinging und was sie auch tun wollte. Mit einem Mal schien ein warmer Schleier alle offenen Fragen und Qualen einzuhüllen.
Willenlos ließ er sich zur Scheune des Schmieds führen. Meurnau sprach kein Wort mit ihm, Orbey hingegen behandelte ihn mit großer Rücksicht. Man versteckte ihn unter der Plane des Karrens und verließ eilig die Stadt, während einige dem Grafen treu gebliebene Gardisten Azdekis Soldaten mit kleinen Scharmützeln ablenkten.
Die Nacht kommt schnell in den Salinen. Auf der Holzumfriedung von Guet d’Aëd wurden tausend Fackeln entzündet. Azdeki entsandte seine Männer in die gesamte Region, um seine Herrschaft zu sichern.
In einem Weiler nahe den Sümpfen, nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt, beobachtete Laerte die durch die Abenddämmerung flackernden Flammen. Sie kamen ihm vor wie der schwache Widerschein eines vergangenen Lebens. Er hatte keine Tränen mehr.
Hinter ihm organisierte Meurnau die Nachtwache. In diesem Salzbauerndorf gab es kaum ein Dutzend Holzhäuser, doch Azdeki würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Erben des Grafen zu finden. Sicher würde er die gesamte Region durchkämmen lassen, um das Haus Uster endgültig auszulöschen.
»Wo ist meine Mutter?«, fragte Laerte, ohne den Blick vor der fernen Stadt abzuwenden.
Er bekam keine Antwort.
»Und meine kleine Schwester?«
»Es tut mir unendlich leid …«
Während der Flucht hatte er überall nach ihnen Ausschau gehalten. Zum ersten Mal seit dem Aufbruch aus Guet d’Aëd sprach er wieder. Esyld trat aus dem Schatten des Hauses, in dem sie untergebracht waren, und stellte sich neben ihn. Ihre Hände berührten sich.
»Haben sie die beiden ebenfalls getötet?« Seine Stimme klang eisig.
Esyld brach in Tränen aus. »Es tut mir so leid, Laerte. So furchtbar leid«, wiederholte sie und vergrub das Gesicht in den Händen.
An einem einzigen Tag hatte Laerte von Uster alles verloren. Seine Familie, seine Heimat und seine Zukunft. Er fühlte sich wie eine leere Hülle, die jederzeit zerbrechen konnte.
Esyld griff nach seiner Hand, doch er rückte von ihr ab. Zum ersten Mal verweigerte er sich ihr. Trotzdem fürchtete er nicht um seine Aussichten bei ihr. Er wühlte in seiner Tasche und holte das kleine Holzpferd hervor. Wie oft mochte er damit gespielt haben? Wie viele Kämpfe hatte er in seiner Fantasie ausgefochten? Seine Finger schlossen sich um die glatte Form des Spielzeugs und umklammerten es so fest, dass er glaubte, die Umrisse für immer in seine Hand geprägt zu haben. Dann warf er es mit einer abrupten Bewegung weit von sich. Das kleine Holzpferd verschwand in der Nacht. Jetzt gab es keine Esyld, kein Guet d’Aëd, keinen Meurnau und keinen Orbey mehr für ihn. Es gab nur noch seine Wut. An diesem Abend wusste er endlich, was er wirklich wollte.
Eines Tages wollte er der größte Ritter der Welt sein. Und er würde ganz allein das Kaiserreich zu Fall bringen.
2
GEHETZT
Er wird keine Ruhe und keine
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