Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
entschieden wurden, der sich wie ein allwissender Gott um die Welt kümmerte. Oft fühlte er sich stolz, dass sein Vater der Repräsentant dieses Souveräns in den Salinen sein durfte.
»Weil sie uns für dumm halten«, beantwortete der Hauptmann seine eigene Frage.
Er fuhr sich mit der Hand über das müde Gesicht und strich den schwarzen Schnurrbart glatt.
»Sie waren der Meinung, dass alle sofort die Knie beugen würden, nachdem Euer Vater gestorben war, aber Oratio von Uster ist hier stärker als der Kaiser. Er war es, der das Land regierte, und er war es, der von seinen Untertanen geliebt wurde.«
Laerte blieb unbeweglich unter der Plane liegen. Er reagierte nicht, sondern starrte ins Leere. Er hörte und verstand, aber letzten Endes waren ihm das Warum, das Wie und das Wer ziemlich egal. Nur zwei Dinge beschäftigten ihn – warum man ihn geschont hatte und wieso er seine Familie nicht hatte retten können.
»Genau das ist es, was ihn das Leben gekostet hat«, fuhr Meurnau fort. »Aus diesem Grund wurde er verurteilt. Weil er geliebt wurde. Nur der Kaiser allein darf Entscheidungen treffen.«
»Er hat keinen Verrat begangen«, ließ sich Laerte plötzlich vernehmen.
Überrascht blickte Meurnau auf. Es war lange her, dass der Junge zum letzten Mal gesprochen hatte. Doch Laerte war bereits wieder in seine Lethargie zurückgefallen.
»Nein, hat er nicht«, bestätigte Meurnau, stieg vom Karren und sah zu seinen Männern hinüber, die zusammensaßen und diskutierten.
Gleich neben den in Lumpen gekleideten Soldaten waren Orbey und seine Tochter dabei, Schwerter in großen Säcken zu verstecken.
»Aber die Träume Eures Vaters standen den Interessen des Kaisers entgegen. Euer Vater wollte erreichen, dass die Welt nicht von den Entscheidungen eines einzigen Mannes abhängt. Er war der Meinung, dass das Volk selbst wählen sollte. Das mag noch ein bisschen zu kompliziert für Euch sein, aber eines dürft Ihr nie vergessen: Im Grunde ist Euer Vater für sein Volk gestorben. Sein Volk hätte er nie und nimmer verraten.«
Der Junge senkte den Blick. Nein, er verstand wirklich nicht. Er versuchte es auch gar nicht erst. Die Gegenwart zählte nicht für ihn, ebenso wenig wie die Zukunft. In ihm war nur entsetzliche Leere.
»In einigen Tagen werden wir Station in Braquenne machen«, kündigte der Hauptmann an. »Dort werden wir Euch lehren, wie man kämpft, und bereiten die Revolution vor. Habt Ihr mir zugehört, Laerte?«
O ja, das hatte Laerte durchaus. Aber auf dem Weg lagen überall hübsche kleine Kiesel, und für die interessierte er sich weitaus mehr als für die unwichtigen Worte des gestrengen Hauptmanns. Die Steine waren so klein und braun auf dem grauen, frostrissigen Boden!
»Laerte«, mahnte Meurnau.
Doch der Junge reagierte nicht. Müde winkte Meurnau ab und ließ Laerte allein.
Tagelang wanderten sie weiter. Eines Morgens entdeckten sie erneut eine schwarze Rauchsäule. Wieder ein niedergebranntes Dorf. Laerte wunderte sich, dass er nichts empfand, wenn er sich vorstellte, wie die Dörfler bei lebendigem Leib verbrannt waren.
Endlich erreichten sie Braquenne. Das Dorf bestand aus fünfzehn großen, ebenerdigen Häusern mitten im Moor. Monatelang waren sie unterwegs gewesen, obwohl der Weiler nur zwei Tagereisen von Guet d’Aëd entfernt lag. Wie viele Umwege hatten sie in Kauf nehmen müssen, um den Häschern des Kaisers zu entkommen!
Hier jedoch winkte ihnen eine Bleibe. An diesem Ort, seltsamerweise in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Feind, konnten sie endlich eine Zeit lang zur Ruhe kommen. Azdekis Truppen streiften weit entfernt durch das Land. Der Hauptmann war überzeugt, dass sich die Flüchtigen in anderen Grafschaften in Sicherheit gebracht hatten.
Während sich Meurnau darum kümmerte, den Aufstand vorzubereiten, wurde Laerte in die Obhut eines kahlköpfigen Kolosses namens Madog gegeben. Der stolze, zähe Mann war in Usters Garde der Vertreter von Meurnau gewesen. Eine Narbe, die sich von seinem rechten Auge bis zur Oberlippe zog, flößte eine gewisse Furcht, aber auch Respekt ein. Madog wurde beauftragt, Laerte in die Grundkenntnisse der Kriegskunst einzuweihen. Ein Jahr lang bemühte er sich, Laerte zu lehren, wie man richtig kämpft, doch ohne Erfolg.
Obwohl sich Laerte in der folgenden Zeit etwas liebenswürdiger gab, so blieb er während der Lehrstunden doch mürrisch. Schimpfend tobte er sich mit dem Schwert in der Hand zwischen den Häusern aus, wobei sein
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