Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Mein Vater ist Euer Graf. Rettet ihn!«
»Bei allen Göttern, Herr, reißt Euch zusammen!«, ging Orbey dazwischen.
Würden sie zu den Waffen eilen und seinem Vater helfen? Würden sie seine Mutter, seine Schwester und seinen Bruder befreien? Nein. Weder Meurnau noch Meister Orbey, ganz zu schweigen von den beiden Wachsoldaten, machten irgendwelche Anstalten. Blind vor Wut rannte Laerte zur Tür. Der Hauptmann und der Schmied waren so überrumpelt, dass sie ihm nur nachblickten. Laerte sauste den Laufgang entlang und ließ sich an einem der Leiterholme hinuntergleiten. Der Hauptmann rief hinter ihm her.
»Laerte! Kommt sofort zurück!«
Laerte verschwendete keinen Gedanken an die Gefahren. Seine Angst hatte jegliche Vernunft ausgelöscht. Er wollte mit eigenen Augen sehen, was sich auf dem Kirchplatz abspielte. Keine Sekunde dachte er daran, dass er nichts in der Hand hatte, um den Schergen entgegenzutreten.
»Laerte?«, wunderte sich Esyld, als der Junge die Türen der Scheune aufstieß.
»Herr!«, rief der Schmied vom Laufgang.
Meurnau war bereits auf der Leiter.
Ohne das Mädchen eines Blickes zu würdigen, sprang Laerte auf eines der fertig gesattelten Pferde. Als sich der Hauptmann auf ihn werfen wollte, um ihn aufzuhalten, gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte auf die menschenleere Straße hinaus. In der Ferne war Lärm zu hören, der sich mit dem Geräusch des prasselnden Regens mischte. Zwei Straßen vor dem Platz entdeckte er die von zwei Soldaten in Schwarz gehaltenen Hellebarden. Er wurde langsamer, zog sich die Kapuze tief ins Gesicht, saß ab und ließ das Pferd laufen. Dann ging er weiter.
Als er einem Trupp Soldaten begegnete, deren Stiefelabsätze auf den regennassen Boden knallten, wäre er beinahe wieder umgekehrt. Plötzlich wurden ihm die Gefahren bewusst, an die er zuvor nicht gedacht hatte. Die Soldaten des Kaisers suchten nach ihm. Sein Vater stand im Begriff, exekutiert zu werden. Doch statt zu fliehen, stürzte er sich erhobenen Hauptes in die Höhle des Löwen.
Was konnte er schon gegen eine ganze Armee ausrichten? Nichts. Und doch trieb ihn etwas an. In ihm brannte ein seltsames Feuer, etwas, das er nicht beschreiben konnte. War es ein letzter Funke Hoffnung? Plötzlich hatte er das Gefühl, dass seine Kleider ihm viel zu klein waren.
Er ging weiter bis zum Kirchplatz. Eine Menschenmenge drängte sich um den in aller Eile errichteten Galgen. Kein fröhliches Gesicht war zu sehen. Alle Anwesenden schwiegen bedrückt. Nur dann und wann war zaghafter Protest zu hören.
Auf dem Podest stand Laertes Vater und blickte aufrecht und stolz in die Ferne. Neben ihm bemühte sich Laertes älterer Bruder um eine würdevolle Haltung. Er hielt die Augen geschlossen und murmelte ein Gebet. Beide hatten eine Schlinge um den Hals, und ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Laerte musste tief durchatmen, um nicht in Ohnmacht zu fallen.
»Ruhe! Ruhe!«
Ein Mann mit ausgemergeltem Gesicht und Adlernase versuchte mit ausladenden Gesten, die aufbrandenden Buhrufe zu beschwichtigen. Er trug eine silberne Rüstung, und sein roter Umhang reichte von den Schultern bis zum Boden. Sein Brustharnisch war mit einem Adler geschmückt, der eine Schlange in den Fängen hielt.
Unter dem Kommando eines Mannes in leichter Rüstung, vermutlich ein junger Ritter, postierten sich Soldaten mit Lanzen um den Galgen, bereit, die Menge notfalls mit Gewalt zurückzudrängen.
Laerte bahnte sich unerkannt einen Weg durch die Zuschauer. Er blickte weder nach links noch nach rechts, sondern hielt den Kopf gesenkt. Der Regen machte seinen Umhang noch schwerer. Man ließ ihn durch. Niemand beschwerte sich. Wie betäubt starrten die Leute auf ihren geliebten Landesherrn. In den Gesichtern der Soldaten, die am Fuß des Galgens Aufstellung bezogen hatten, las Laerte eine Entschlossenheit, die ihn bis ins Mark frieren ließ.
»Ruhe!«, wiederholte der Mann auf dem Podest.
Die Menge wurde still. Der Mann ließ seinen durchdrin genden Blick über die versammelten Menschen schweifen.
»Ich, Hauptmann Azdeki, richte im Namen Seiner Majestät, Kaiser Asham Ivani Reyes, über die hier anwesenden Verräter …« Mit dem Finger wies er auf Vater und Sohn Uster. »Dieser Mann, der euch viele Jahre regiert hat, ist angeklagt, ein Komplott gegen euren Kaiser geschmiedet zu haben. Er hat Falschaussagen verbreitet und Unruhe und Zweifel in eure Herzen gesät. Der Kaiser höchstselbst ist zu dem Schluss gekommen, dass es
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