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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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anstrebte, vielleicht eine Heirat, die sie einband in die Macht, die er ständig vergrößerte. Sie hatten ein paarmal miteinander geredet während ihres Aufenthaltes in Inuyama und dann wieder auf der Reise, doch damals galt Arais Aufmerksamkeit der Sicherung des Landes und seinen Strategien für die Zukunft. Er hatte nicht mit ihr darüber gesprochen, er hatte lediglich den Wunsch geäußert, dass die Otorihochzeit stattfinden möge. Einst, vor einer Ewigkeit, wie es Kaede jetzt vorkam, hatte sie mehr sein wollen als ein Pfand in den Händen der Krieger, die ihr Schicksal bestimmten. Jetzt, mit der neu gefundenen Kraft, die der eisige Schlaf ihr geschenkt hatte, beschloss sie erneut, ihr Leben selbst zu bestimmen. Ich brauche Zeit, dachte sie. Ich darf nichts überstürzen. Ich muss nach Hause reisen, bevor ich irgendwelche Entscheidungen treffe.
    Einer von Arais Männern - sie erinnerte sich, dass er Niwa hieß - begrüßte sie am Rand der Veranda und führte sie zur Tür. Die Läden waren alle geöffnet. Arai saß mit drei Männern seines Gefolges hinten im Raum. Niwa nannte Kaedes Namen und der Kriegsherr schaute zu ihr auf. Einen Augenblick musterten sie einander. Sie hielt seinem Blick stand und spürte die Kraft in ihren Adern pulsieren. Dann sank sie auf die Knie und verneigte sich vor ihm; die Geste war ihr unangenehm, doch sie wusste, dass sie fügsam erscheinen musste.
    Er erwiderte ihre Verbeugung und sie setzten sich beide zugleich auf. Kaede spürte seinen Blick auf sich. Sie hob den Kopf und sah ihn ebenso unerschrocken an. Das konnte er nicht lange ertragen. Ihr Herz hämmerte bei dieser Kühnheit. In der Vergangenheit hatte sie diesen Mann gemocht, sie hatte ihm vertraut. Jetzt bemerkte sie Veränderungen in seinem Gesicht. Die Linien um Mund und Augen waren tiefer geworden. Er war pragmatisch und wandlungsfähig zugleich gewesen, doch jetzt beherrschte ihn allein die Gier nach Macht.
    Nicht weit vom Haus ihrer Eltern floss der Shirakawa durch große Kalksteinhöhlen, wo das Wasser Säulen und Statuen geformt hatte. Als Kind war Kaede jedes Jahr dort hingebracht worden, um der Göttin zu huldigen, die in einer dieser Säulen unter dem Berg lebte. Die Statue hatte eine fließende, lebendig wirkende Gestalt, als ob der Geist in ihr versuchte, aus der ihn umschließenden Kalkschicht auszubrechen. Jetzt dachte Kaede an diese Steinschicht. War Macht ein kalkhaltiger Fluss, der alle erstarren ließ, die es wagten, darin zu schwimmen?
    Arais körperliche Größe und Stärke ließen sie innerlich zittern in der Erinnerung an jenen Moment der Hilflosigkeit in Iidas Armen, an die Kraft von Männern, die Frauen zu allem zwingen konnten, was sie wollten. Lass nie zu, dass sie diese Kraft gebrauchen, dachte sie, und dann: Sei immer bewaffnet. In ihrem Mund war ein Geschmack so süß wie Dattelpflaumen, so stark wie Blut, das Wissen um die Macht und ihren Geschmack. Trieb das die Männer an, ständig aneinander zu geraten, einander zu versklaven und zu zerstören? Warum sollte eine Frau nicht auch darüber verfügen?
    Kaede betrachtete die Stellen an Arais Körper, wo Nadel und Messer Iida durchbohrt und geöffnet hatten für die Welt, die er beherrschen wollte, sodass sein Lebensblut auslief. Ich darf das nie vergessen, sagte sie sich. Männer können auch von Frauen getötet werden. Ich habe den mächtigsten Kriegsherrn in den Drei Ländern getötet.
    Ihre Erziehung hatte sie gelehrt, sich den Männern zu unterwerfen, sich deren Willen und größerer Intelligenz zu fügen. Kaedes Herz klopfte so heftig, dass sie fürchtete, sie könne ohnmächtig werden. Sie atmete tief, wandte an, was Shizuka sie gelehrt hatte, und spürte, wie sich das Blut in ihren Adern beruhigte.
    »Lord Arai, morgen werde ich nach Shirakawa aufbrechen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich von Männern aus Ihrem Gefolge nach Hause begleiten lassen könnten.«
    »Mir wäre es lieber, Sie blieben im Osten«, sagte er langsam. »Aber nicht darüber will ich zuerst mit Ihnen reden.« Er schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Otoris Verschwinden. Können Sie diesen außergewöhnlichen Vorfall irgendwie erklären? Ich glaube, ich habe mein Recht auf Herrschaft begründet. Ich war bereits mit Shigeru verbündet. Wie kann der junge Otori alle seine Verpflichtungen gegenüber mir und seinem toten Vater missachten? Wie kann er sich darüber hinwegsetzen und davongehen? Und wohin ist er gegangen? Meine Männer haben das Gebiet bis

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