Der Pfad im Schnee
Kriegerklasse? Nie hatte ich von Schlachten gelesen, in denen Bauern kämpften. Gewöhnlich hielten sie sich den Gefechten fern, hassten beide Seiten gleichermaßen und plünderten hinterher unparteiisch die Toten aus.
Wie so oft kam mir der Bauer in den Sinn, den ich in seinem geheimen Feld in den Hügeln hinter Matsue ermordet hatte. Wieder hörte ich ihn rufen: »Lord Shigeru!« Wie froh wäre ich, wenn sein Geist Ruhe fände! Aber er erinnerte mich auch an den Mut und die Entschlossenheit seiner Freunde, Eigenschaften, die im Moment vergeudet wurden. Würde er aufhören, mich zu verfolgen, wenn ich sie nutzte?
Die Bauern in den Ländereien der Otori, in den bestehenden rund um Hagi wie in jenen, die den Tohan überlassen worden waren - einschließlich Yamagata -, hatten Shigeru geliebt. Schon nach seinem Tod hatten sie zornig rebelliert. Ich glaubte, sie würden auch mich unterstützen, aber ich fürchtete, dass ihr Einsatz die Loyalität meiner Krieger untergraben könnte.
Zurück zu dem theoretischen Problem Yamagata: Wenn ich den Übergangsstatthalter ausschalten könnte, den Arai im Schloss eingesetzt hatte, hätte ich viel bessere Aussichten, ohne lange Belagerung die Kapitulation zu erreichen. Was ich brauchte, war ein Attentäter, dem ich vertrauen konnte. Stammesangehörige hatten zugegeben, dass ich der Einzige war, der allein ins Schloss Yamagata eindringen konnte, aber für einen Oberbefehlshaber schien das nicht sehr passend zu sein. Meine Gedanken schweiften ab und das erinnerte mich daran, dass ich in der Nacht kaum geschlafen hatte. Ich fragte mich, ob ich Jungen und Mädchen so ausbilden könnte, wie der Stamm es tat. Sie hätten vielleicht keine angeborenen Talente, aber vieles war nur eine Frage der Schulung. Alle Vorzüge eines Spionagenetzes leuchteten mir ein. Ob es ein paar unzufriedene Stammesmitglieder gab, die überredet werden konnten, mir zu dienen? Für den Moment verdrängte ich den Gedanken, später sollte er mich wieder beschäftigen.
Während der Tag in Schwung kam, verging die Zeit noch langsamer. Fliegen, die aus dem Winterschlaf erwacht waren, summten an den Fenstern. Ich hörte die Rufe des ersten Teichrohrsängers aus dem Wald, das Gleiten der Schwalbenflügel und das Klicken ihrer Schnäbel, wenn sie Insekten fingen. Die Geräusche des Tempels umgaben mich: die Schritte, das Rauschen von Gewändern, der ansteigende, abfallende Sprechgesang, der plötzliche klare Klang einer Glocke.
Eine leichte Brise aus dem Süden trug den Frühlingsduft herbei. Innerhalb einer Woche würden Kaede und ich verheiratet sein. Ringsum schien das Leben aufzusteigen und mich mit seiner Kraft und Energie zu umarmen. Doch ich kniete hier, ins Studium der Kriege versunken.
Und als Kaede und ich uns an diesem Abend trafen, redeten wir nicht von Liebe, sondern von Strategie. Von Liebe brauchten wir nicht zu reden; wir würden heiraten, wir würden Mann und Frau werden. Aber wenn wir lange genug leben sollten, um Kinder zu haben, mussten wir schnell handeln, damit unsere Macht gefestigt wurde.
Damals, als Makoto mir erzählt hatte, dass Kaede eine Armee aufstelle, war mein Gefühl richtig gewesen: Sie würde eine ernst zu nehmende Verbündete sein. Sie stimmte mir zu, dass wir direkt nach Maruyama gehen sollten; sie erzählte mir von dem Treffen mit Sugita Haruki im Herbst. Er wartete auf ihre Nachricht und sie schlug vor, einige ihrer Gefolgsleute zur Domäne zu schicken, um ihn von unseren Vorhaben zu unterrichten. Ich war einverstanden und fand, der jüngere Miyoshibruder Gemba könne mit ihnen gehen. Nach Inuyama schickten wir keine Botschaften: Je weniger Arai von unseren Plänen wusste, umso besser.
»Shizuka meinte, unsere Heirat werde ihn erzürnen«, sagte Kaede.
Auch ich hielt das für wahrscheinlich. Wir hätten es besser wissen müssen. Wir hätten geduldig sein sollen. Wenn wir uns durch die richtigen Kanäle an Arai gewandt hätten, durch Kaheis Tante oder durch Sugita, hätte er vielleicht zu unseren Gunsten entschieden. Aber wir waren beide von einem verzweifelten Gefühl der Dringlichkeit besessen, wir wussten, wie kurz unser Leben sein könnte. Und deshalb wurden wir wenige Tage später verheiratet; es geschah vor dem Schrein im Schatten der Bäume, die Shigerus Grab umgaben, in Übereinstimmung mit seinem Willen, aber gegen alle Regeln unserer Klasse. Zu unserer Rechtfertigung könnte ich sagen, dass wir beide keine typische Erziehung gehabt hatten. Wir waren beide aus
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