Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
bezaubert.«
    Im Garten zwitscherten laut die Vögel in den Käfigen. Er wird meine List durchschauen und mich nie wieder sehen wollen, dachte Kaede. Doch sie fürchtete nicht die Reaktion des Gastgebers, sondern die ihres Vaters.
    »Die Diener haben mir gesagt, dass Lord Fujiwara lange schläft«, flüsterte Shizuka. »Gehen Sie zu Ihrem Vater und sprechen Sie mit ihm. Ich habe um die Sänfte gebeten.«
    Kaede nickte schweigend. Sie trat auf den polierten Holzboden der Veranda hinaus. Wie schön die Dielen verlegt waren! Als sie zu dem Zimmer ging, in dem ihr Vater sich aufhielt, entfaltete sich die ganze Schönheit des Gartens vor ihren Augen: eine Steinlaterne zwischen den letzten roten Ahornblättern, Sonnengefunkel auf dem stillen Wasser eines Teichs, gelbes und schwarzes Aufblitzen der langschwänzigen Vögel auf ihren Stangen.
    Ihr Vater saß im Zimmer und schaute hinaus in den Garten. Als sie ihn sah, empfand sie wider Willen Mitleid. Lord Fujiwaras Freundschaft bedeutete ihm so viel.
    Im Teich wartete ein Reiher, er stand still wie eine Statue.
    Kaede fiel auf die Knie und wartete darauf, dass ihr Vater sprach.
    »Was soll dieser Unsinn, Kaede? Deine Rücksichtslosigkeit ist unglaublich!«
    »Vergib mir, mir ist nicht gut«, murmelte sie. Als er nichts entgegnete, sagte sie etwas lauter: »Vater, ich bin krank. Ich gehe jetzt nach Hause.«
    Er sagte immer noch nichts, als würde sie verschwinden, wenn er sie nicht beachtete. Der Reiher flog mit einem plötzlichen Flügelschlag hoch. Zwei junge Männer gingen in den Garten, offenbar um die Vögel in den Käfigen zu betrachten.
    Kaede sah sich im Zimmer um, sie suchte einen Wandschirm oder sonst etwas, hinter dem sie sich verbergen konnte, aber da war nichts.
    »Guten Morgen!«, rief ihr Vater munter.
    Die Männer drehten sich zu ihm um und wollten ihn grüßen. Mamoru sah sie. Einen Augenblick glaubte sie, er würde den Garten verlassen, ohne sich ihr zu nähern, doch dass Lord Fujiwara sie vergangene Nacht zum Zusammensein der Männer gebeten hatte, musste ihm Mut gemacht haben. Er führte den anderen herbei und begann, ihn förmlich ihrem Vater vorzustellen. Kaede verbeugte sich tief und hoffte, so ihr Gesicht zu verstecken. Mamoru nannte den Namen des Mönchs, Kubo Makoto, und den Namen des Tempels in Terayama. Makoto verneigte sich ebenfalls.
    »Lord Shirakawa«, sagte Mamoru, »und seine Tochter, Lady Otori.«
    Der junge Mönch konnte seine Reaktion nicht unterdrücken. Er wurde blass und schaute sie an. Er erkannte sie und sprach schon im selben Moment.
    »Lady Otori? Sie haben Lord Takeo also doch geheiratet? Ist er mit Ihnen hier?«
    Einen Augenblick herrschte Stille. Dann sagte Kaedes Vater: »Der Mann meiner Tochter war Lord Otori Shigeru.«
    Makoto öffnete den Mund, als wollte er es abstreiten, überlegte es sich anders und verbeugte sich schweigend.
    Kaedes Vater beugte sich vor: »Bist du aus Terayama? Du hast nicht gewusst, dass die Hochzeit dort stattfand?«
    Makoto sagte nichts. Ihr Vater befahl ihr, ohne den Kopf zu wenden: »Lass uns allein.«
    Sie war stolz auf ihre ruhige Stimme, als sie erwiderte: »Ich gehe nach Hause. Bitte übermittle Lord Fujiwara meine Entschuldigungen.«
    Er gab keine Antwort und sie dachte, er wird mich töten. Sie verneigte sich vor den beiden jungen Männern und sah, wie verlegen und beklommen sie waren. Als sie wegging, zwang sie sich nicht zu hasten und nicht den Kopf zu drehen, doch ein Strudel von Emotionen bildete sich in ihrem Magen. Immer würde sie Gegenstand dieser verlegenen Blicke, dieser Verachtung sein. Ihr stockte der Atem über die Intensität des Gefühls, die Schärfe der Verzweiflung, die es begleitete. Besser, man stirbt. Aber was ist mit meinem Kind, Takeos Kind? Muss es mit mir sterben?
    Am Ende der Veranda wartete Shizuka auf sie. »Wir können jetzt gehen, Lady. Kondo begleitet uns.«
    Kaede erlaubte dem Mann, sie in die Sänfte zu heben. Sie war erleichtert, drinnen im Halbdunkel zu sein, wo niemand ihr Gesicht sehen konnte. Vater wird mir nie mehr ins Gesicht sehen, dachte sie. Er wird die Augen abwenden, sogar, wenn er mich tötet.
    Als sie zu Hause angekommen war, legte sie das Gewand ab, das Fujiwara ihr geschenkt hatte, und faltete es sorgfältig zusammen. Sie zog ein altes Kleid ihrer Mutter mit einem gesteppten Unterkleid an. Sie fror bis auf die Knochen und wollte nicht zittern.
    »Du bist wieder da!« Hana kam hereingelaufen. »Wo ist Ai?«
    »Sie bleibt ein wenig länger bei

Weitere Kostenlose Bücher