Der Pfad im Schnee
Zorn.
Sie wandte sich um und sah Kondo vor ihrem Vater knien, der halb aufrecht saß und anscheinend von Shizuka gestützt wurde. Dann erkannte sie, dass die Augen ihres Vaters blicklos ins Leere starrten. Kondo schien mit der Hand in den Bauch ihres Vaters zu stoßen und ihn kreuzweise aufzuschlitzen. Es gab ein widerliches leises Geräusch und das Blut zischte und blubberte, als es herausschoss.
Shizuka ließ den Hals des Mannes los und er fiel nach vorne. Kondo schob ihm das Messer in die rechte Hand.
Kaede wurde es übel, sie krümmte sich und würgte. Shizuka kam mit ausdruckslosem Gesicht zu ihr. »Es ist alles vorbei.«
»Lord Shirakawa hat den Verstand verloren«, sagte Kondo, »und sich das Leben genommen. Er hatte viele Wahnsinnsanfälle und redete oft von Selbstmord. Er starb ehrenvoll und mit großer Tapferkeit.« Er stand auf und schaute Kaede direkt an. Jetzt war der Augenblick, in dem sie die Wachen rufen, Shizuka und Kondo anklagen und hinrichten lassen könnte, doch der Augenblick verging und sie tat nichts. Sie wusste, dass sie den Mord nie jemandem eingestehen würde.
Kondo lächelte kaum merklich und fuhr fort: »Lady Otori, Sie müssen Loyalität von den Männern verlangen. Sie müssen stark sein. Sonst wird sich irgendeiner von ihnen Ihrer Domäne bemächtigen und Sie verdrängen.«
»Ich war im Begriff, mich selbst zu töten«, sagte sie langsam. »Aber jetzt sieht es aus, als wäre es nicht nötig.«
»Es ist nicht nötig«, stimmte er zu. »Solange Sie stark sind.«
»Sie müssen um Ihres Kindes willen leben«, mahnte Shizuka eindringlich. »Niemand wird wissen wollen, wer der Vater ist, solange Sie mächtig genug sind. Aber jetzt müssen Sie handeln. Kondo, rufe die Männer so schnell wie möglich herbei.«
Kaede ließ sich von Shizuka zu den Frauenräumen führen, sich waschen und umziehen. Innerlich zitterte sie vor Entsetzen, doch sie klammerte sich an das Bewusstsein ihrer eigenen Macht. Ihr Vater war tot und sie lebte. Er hatte sterben wollen, es war nicht schwer für sie vorzugeben, dass er sich tatsächlich das Leben genommen hatte und ehrenvoll gestorben war, den Wunsch hatte er oft geäußert. Sie respektierte tatsächlich seine Wünsche, dachte sie bitter, und schützte seinen Namen. Doch seinen letzten Befehl würde sie nicht befolgen. Sie würde sich nicht töten, und sie würde auch ihren Schwestern nicht erlauben zu sterben.
Kondo hatte die Wachen verständigt, Jungen wurden ins Dorf geschickt, um die Gefolgsleute zu holen, die auf Bauernhöfen lebten. Innerhalb einer Stunde waren die meisten Gefolgsleute von Kaedes Vater versammelt. Die Frauen hatten die Trauerkleidung hervorgeholt, die erst vor kurzem nach dem Tod von Kaedes Mutter weggeräumt worden war, und man hatte den Priester benachrichtigt. Die Sonne stieg höher und vertrieb die Kälte. Die Luft roch nach Rauch und Kiefernnadeln. Jetzt, wo der erste Schock vorbei war, wurde Kaede von einem Gefühl getrieben, das sie kaum verstand, einem wilden Bedürfnis zu sichern, was ihr gehörte, ihre Schwestern und ihren Haushalt zu schützen, dafür zu sorgen, dass nichts von ihr veruntreut oder gestohlen wurde. Jeder der Männer konnte ihr den Besitz nehmen, sie würden nicht zögern, wenn sie das geringste Anzeichen von Schwäche bemerkten. Kaede hatte die Härte gesehen, die unter Shizukas leichtherziger Pose und Kondos ironischer Haltung lag. Diese Härte hatte ihr das Leben gerettet und die eigene würde ihr entsprechen.
Kaede erinnerte sich an Arais Entschlossenheit, die Männer bewog, ihm zu folgen, und die den größten Teil der Drei Länder unter seinen Einfluss gebracht hatte. Jetzt musste sie die gleiche Entschiedenheit zeigen. Arai würde ihr Bündnis respektieren, aber würde er auf einen Krieg verzichten, wenn jemand anders ihren Platz einnahm? Sie würde nicht zulassen, dass ihr Volk zu Grunde gerichtet wurde und ihre Schwestern als Geiseln die Heimat verlassen mussten.
Der Tod lockte sie immer noch, doch dieser neue wilde Geist in ihr erlaubte nicht, dass sie dem Verlangen nachgab. Ich bin tatsächlich besessen, fand sie, als sie auf die Veranda trat, um zu den Männern im Garten zu sprechen. Wie wenige es sind! Sie erinnerte sich an die Truppen, die ihr Vater unter sich hatte, als sie ein Kind gewesen war. Zehn der Versammelten waren Arais Männer, jene, die Kondo ausgewählt hatte. Etwa zwanzig dienten noch den Shirakawa. Sie kannte alle bei Namen und hatte es sich seit ihrer Rückkehr zur Aufgabe
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