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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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bis zum Haus.
    »Es wird spät«, sagte er. »Ich bedaure, auf Ihre Gesellschaft verzichten zu müssen, aber ich fürchte, ich muss Sie nach Hause schicken. Sie werden bald wieder kommen.« Er packte das Bild ein und legte es in seinen Kasten. Sie roch den schwachen Duft des Holzes und der Rautenblätter darin, die Insekten fern halten sollten.
    »Ich danke Ihnen von Herzen«, sagte sie beim Aufstehen. Mamoru war leise zurückgekommen und verneigte sich jetzt tief, als sie an ihm vorbeiging.
    »Schau sie an, Mamoru«, sagte Fujiwara. »Sieh, wie sie geht, wie sie deine Verbeugung erwidert. Wenn du dir das aneignen kannst, dann kannst du dich einen Schauspieler nennen.«
    Sie tauschten Abschiedsgrüße, Lord Fujiwara kam selbst heraus auf die Veranda, um sie zur Sänfte zu bringen und Gefolgsleute zu ihrer Begleitung mitzuschicken.
    »Das haben Sie gut gemacht«, sagte ihr Shizuka, als sie zu Hause waren. »Sie haben ihn fasziniert.«
    »Er verachtet mich«, sagte Kaede. Sie war erschöpft von der Begegnung.
    »Er verachtet Frauen, aber Sie sieht er als etwas anderes.«
    »Etwas Unnatürliches.«
    »Vielleicht.« Shizuka lachte. »Oder etwas Einmaliges und Seltenes, das niemand sonst besitzt.«

KAPITEL 5

    Am nächsten Tag schickte Fujiwara Geschenke und die Einladung zu einer Schauspielaufführung bei Vollmond. Kaede packte zwei Gewänder aus, eins alt und sehr dezent, herrlich bestickt mit Fasanen und Herbstgräsern in Gold und Grün auf elfenbeinfarbener Seide, das andere anscheinend neu und auffallender mit dunkelvioletten und blauen Pfingstrosen auf blassrosa Grund.
    Hana und Ai kamen, um sie zu bewundern. Lord Fujiwara hatte auch Lebensmittel geschickt, Wachteln und Fisch, Dattelpflaumen und Bohnenkuchen. Hana, die wie sie alle nie richtig satt wurde, zeigte sich tief beeindruckt.
    »Nicht anfassen«, schalt Kaede. »Deine Hände sind schmutzig.«
    Hanas Hände waren fleckig vom Walnusssammeln, doch sie hasste es, wenn sie getadelt wurde. Sie versteckte die Hände hinter dem Rücken und funkelte die ältere Schwester wütend an.
    »Hana«, Kaede versuchte freundlich zu sein, »lass dir von Ayame die Hände waschen, dann kannst du die Sachen betrachten.«
    Ihr Verhältnis zu der jüngeren Schwester war immer noch gespannt. Insgeheim fand sie, dass Hana von Ayame u nd Ai verwöhnt worden war. Gern hätte sie ihren Vater dazu gebracht, auch Hana zu unterrichten; ihrer Meinung nach brauchte das Mädchen Disziplin und Herausforderungen, die sie ihr gern selbst vermittelt hätte, doch es fehlte ihr an Zeit und Geduld. Auch darüber würde sie in den langen Wintermonaten nachdenken müssen. Jetzt lief Hana weinend in die Küche.
    »Ich kümmere mich um sie«, sagte Ai.
    »Sie ist so eigensinnig«, sagte Kaede zu Shizuka. »Was soll aus ihr werden, wenn sie so schön und so starrköpfig ist?«
    Shizuka sah sie spöttisch an, sagte jedoch nichts.
    »Was?«, fragte Kaede. »Was meinst du?«
    »Sie ist wie Sie, Lady«, murmelte Shizuka.
    »Das hast du schon zuvor gesagt. Aber sie hat mehr Glück als ich.« Kaede schwieg und dachte an den Unterschied zwischen ihnen. In Hanas Alter war sie über zwei Jahre lang allein im Schloss Noguchi gewesen. Vielleicht war sie eifersüchtig auf ihre Schwester und deshalb so ungeduldig. Aber Hana verwilderte wirklich und ließ sich überhaupt nichts sagen.
    Kaede seufzte, betrachtete die schönen Gewänder und sehnte sich danach, die zarte Seide auf ihrer Haut zu spüren. Sie bat Shizuka um einen Spiegel und hielt sich das ältere Gewand ans Gesicht, um zu sehen, wie die Farben zu ihrem Haar passten. Sie war von den Geschenken tiefer beeindruckt, als sie sich anmerken ließ. Lord Fujiwaras Interesse schmeichelte ihr. Er hatte gesagt, dass sie ihn fasziniere; er faszinierte sie nicht weniger.
    Sie trug das ältere Gewand, weil es ihr passender für den Spätherbst erschien, als sie und ihr Vater, Shizuka und Ai Lord Fujiwara zu der Vorstellung besuchten. Sie sollten über Nacht bleiben, weil das Drama bis spät unter dem Vollmond dauern würde. Hana, die sich verzweifelt wünschte, auch eingeladen zu sein, schmollte, als sie gingen, und kam nicht, um sie zu verabschieden. Kaede hätte am liebsten auch ihren Vater zurückgelassen. Sein unvorhersehbares Verhalten beunruhigte sie, und sie fürchtete, er könne sich in Gesellschaft noch mehr Schande machen. Doch die Einladung hatte ihm ungeheuer geschmeichelt, und er ließ sich nicht von dem Besuch abbringen.
    Mehrere Schauspieler, unter

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