Der Pfad im Schnee
Lord Fujiwara.«
»Warum bist du zurückgekommen?«, fragte das Kind.
»Mir war nicht gut. Jetzt ist alles wieder in Ordnung.« Aus einem Impuls heraus sagte sie: »Ich schenke dir das Kleid, das herbstliche, das dir so gut gefallen hat. Du musst es wegschließen und es pflegen, bis du alt genug bist, es zu tragen.«
»Willst du es nicht?«
»Ich will, dass du es hast. Denk an mich, wenn du es trägst, und bete für mich.«
Hana schaute sie scharf an. »Wohin gehst du?« Als Kaede nicht antwortete, fuhr sie fort: »Geh nicht wieder weg, ältere Schwester.«
»Das wird dir nichts ausmachen.« Kaede versuchte es scherzhaft zu sagen. »Ich werde dir nicht fehlen.«
Zu ihrer Bestürzung fing Hana an laut zu schluchzen und dann zu schreien. »Du wirst mir fehlen! Verlass mich nicht! Verlass mich nicht!«
Ayame lief herbei. »Was ist denn los, Hana? Du darfst nicht unartig zu deiner Schwester sein.«
Shizuka kam herein. »Ihr Vater ist an der Furt. Er ist allein hergeritten.«
»Ayame«, sagte Kaede, »bring Hana eine Zeit lang hinaus. Geh mit ihr in den Wald. Alle Dienstboten müssen euch begleiten. Ich will niemanden im Haus haben.«
»Aber Lady Kaede, es ist so früh und noch so kalt.«
»Bitte tu, was ich sage«, bat Kaede. Hana weinte noch heftiger, als Ayame sie wegführte.
»Das ist ihre Art, Kummer auszudrücken«, sagte Shizuka.
»Ich fürchte, ich muss ihr noch mehr aufladen«, rief Kaede. »Aber sie darf nicht hier sein.«
Sie stand auf und ging zu der kleinen Truhe, in der sie ein paar Dinge aufbewahrte. Sie nahm das Messer heraus und wog sein Gewicht in der verbotenen linken Hand. Bald würde es niemandem mehr etwas ausmachen, welche Hand sie gebraucht hatte.
»Was ist am besten, in die Kehle oder ins Herz?«
»Sie müssen das nicht tun«, sagte Shizuka leise. »Wir können fliehen. Der Stamm wird Sie verstecken. Denken Sie an das Kind.«
»Ich kann nicht weglaufen!« Kaede war überrascht, wie laut sie sprach.
»Dann lassen Sie mich Ihnen Gift geben. Es wirkt schnell und schmerzlos. Sie werden einfach einschlafen und nie…«
Kaede unterbrach sie. »Ich bin die Tochter eines Kriegers. Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben. Du weißt besser als sonst jemand, wie oft ich daran gedacht habe, mir das Leben zu nehmen. Zuerst muss ich Vater um Vergebung bitten, dann muss ich das Messer gegen mich richten. Meine einzige Frage ist, was ist besser?«
Shizuka trat nah an sie heran. »Setzen Sie die Spitze seitlich am Hals an. Stoßen Sie das Messer hinein und ziehen es dann nach oben. So schneiden Sie die Arterie auf.« Ihre zuerst so sachliche Stimme versagte und Kaede sah, dass Shizuka Tränen in den Augen hatte. »Tun Sie es nicht«, flüsterte sie. »Verzweifeln Sie noch nicht.«
Kaede nahm das Messer in die rechte Hand. Sie hörte die Rufe der Wache, die Hufschläge, als ihr Vater durchs Tor ritt. Sie hörte, wie Kondo ihn grüßte.
Sie schaute hinaus in den Garten. Plötzlich blitzte die Erinnerung in ihr auf, wie sie als kleines Kind über die ganze Veranda von ihrem Vater zu ihrer Mutter und wieder zurück gelaufen war. Noch nie zuvor habe ich mich daran erinnert, dachte sie und flüsterte tonlos: Mutter, Mutter!
Ihr Vater trat auf die Veranda. Als er durch die Tür kam, sanken Kaede und Shizuka auf die Knie und berührten mit der Stirn den Boden.
»Tochter«, sagte er, seine Stimme klang unsicher und dünn. Kaede schaute zu ihm auf, sein Gesicht war von Tränen überströmt und sein Mund bewegte sich stumm. Vor seinem Zorn hatte sie sich gefürchtet, doch jetzt sah sie seinen Wahnsinn und er ängstigte sie noch mehr.
»Verzeih mir«, flüsterte sie.
»Ich muss mich jetzt töten.« Schwer ließ er sich vor ihr nieder und nahm seinen Dolch vom Gürtel. Lange betrachtete er die Klinge.
»Schicke nach Shoji«, sagte er schließlich. »Er muss mir helfen. Sag deinem Gefolgsmann, er soll zu seinem Haus reiten und ihn holen.«
Als sie nicht antwortete, schrie er plötzlich: »Sag’s ihm!«
»Ich gehe«, flüsterte Shizuka. Sie kroch auf den Knien zum Rand der Veranda; Kaede hörte, wie sie mit Kondo sprach, doch der Mann ging nicht. Stattdessen trat er auf die Veranda und sie wusste, dass er direkt vor der Tür wartete.
Ihr Vater machte eine jähe Bewegung zu ihr hin. Sie zuckte zusammen, weil sie glaubte, er wolle sie schlagen. Er sagte: »Es gab keine Heirat!«
»Verzeih mir«, sagte sie wieder. »Ich habe Schande über dich gebracht. Ich bin bereit zu sterben.«
»Aber es gibt
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