Der Pfeil der Rache
Buch, dem
Toxophilus
, den dieser heuer dem König vorlegte. Master Hobbey hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt.«
»Soso.« Es war das Buch, das Lady Elizabeth las, wie die Königin mir erzählt hatte. »Darf ich es sehen?«
»Erwärmt Ihr Euch denn für die Kunst des Bogenschießens, Sir?«
Ich lächelte. »Eher für Bücher. Ich bin nicht gebaut für Pfeil und Bogen.«
»Ich will Euch mein Exemplar gern zeigen.« Zum ersten Mal belebte Hughs Gesicht sich ein wenig.
»Vielleicht später«, sagte Hobbey. »Unsere Gäste sind seit fünf Tagen unterwegs. Heißes Wasser erwartet Euch in Euren Gemächern, Gentlemen, lasst es nicht kalt werden. Dann kommt herunter und leistet uns Gesellschaft. Ich habe ein herzhaftes Mahl bereiten lassen.« Er schnippte mit den Fingern, und die Alte kam herbei. »Ursula, führe Master Dyrick und Master Shardlake in ihre Gemächer.«
Sie führte uns die Treppe hinauf in einen Korridor, durch dessen alte Bogenfenster ich in den früheren Kreuzgang blickte, der, von Blumenbeeten gesäumt, friedvoll im Abendlicht lag. Ursula öffnete die Tür zu einem großen Gästezimmer mit Himmelbett. Eine Schüssel mit dampfendem Wasser stand auf einem Tisch bereit, daneben lagen drei Briefe.
»Danke«, sagte ich.
Sie nickte knapp. Dyrick hinter ihr sagte: »Habt Ihr gesehen, wie gut es Master Curteys geht?«, sagte er.
»Zumindest hat es auf den ersten Blick den Anschein.«
Dyrick seufzte, schüttelte den Kopf und folgte Ursula. Ich schloss die Tür, eilte zum Bett und nahm die Briefe auf. Der eine war mit unbeholfener Hand an »Jack Barak« adressiert. Ich öffnete die beiden anderen. Der erste, vor zwei Tagen von Warner abgeschickt, war kurz. Er entschuldigte sich erneut, dass er nicht imstande gewesen sei, uns einen Begleiter an die Seite zu stellen. König und Königin, schrieb er, würden am 4. Juli nach Portsmouth aufbrechen – das war gestern, sie waren also bereits unterwegs. Die Majestäten hofften, bis zum 14. Juli dort anzukommen, und würden in Portchester Castle weilen. Er, Warner, habe jemanden betraut, Erkundigungen zu Hobbeys finanzieller Lage einzuziehen, doch noch nichts erfahren.
Ich wandte mich gespannt Guys Schreiben zu, am selben Tag verfasst, in seiner kleinen, sauberen Handschrift:
Lieber Matthew,
im Haus ist es ruhig. Coldiron tut alles, was ich von ihm fordere, wenn auch mit verdrießlicher Miene. Die Stimmung gegen Ausländer in der Stadt spitzt sich immer weiter zu; heute war ich bei Tamasin, die Gott sei Dank wohlauf ist, und musste in den Gassen einige Schmähungen ertragen. Peter sagt, er habe noch mehr Soldaten durch London ziehen sehen, die meisten in Richtung Südküste. Ich bin nun seit über zwanzig Jahren in England und habe dergleichen noch niemals erlebt. Unter dem herausfordernden Gebaren der Leute lauert die Angst.
Etwas Seltsames: Gestern betrat ich die Stube und überraschte Josephine, die Staub wischte. Sie erschrak und ließ eine kleine Vase fallen, die in tausend Scherben zersprang, woraufhin sie sich nach Manier der Franzosen mit einem herzhaften
»Merde«!
Luft machte. Sie war ebenso verlegen und ängstlich wie eh und je, also machte ich kein Aufhebens davon, aber es erschien mir doch seltsam.
Heute gehe ich ins Bedlam, um Ellen zu besuchen; ich werde Dich wissen lassen, wie es um sie steht. Nachdem ich viel deswegen gebetet habe, meine ich umso mehr, dass ihr am besten gedient ist, wenn Du sie in Ruhe lässt. Aber die Entscheidung liegt bei Dir.
Dein treuer, Dich liebender Freund,
Guy Malton
Ich faltete den Brief zusammen. Trotz Guys Warnung hatte ich mir fest vorgenommen, auf dem Heimweg Rolfswood aufzusuchen, ich konnte einfach nicht anders. Aufseufzend trat ich ans Fenster. Ich sah den kleinen Friedhof, die Gedenksteine, die kreuz und quer im ungeschnittenen Gras standen. Dyrick hat recht, dachte ich, Hugh strotzt vor Gesundheit. Und Nicholas Hobbeys Ton war von ausgesuchter Höflichkeit gewesen. Er schien mir kaum der Mann, der anderen gedungene Raufbolde auf den Hals hetzt. Doch irgendetwas stimmte nicht, das spürte ich.
* * *
Das Nachtmahl wurde im Großen Saal aufgetragen. Die Dämmerung brach herein, und Kerzen brannten in den Leuchtern ringsum. Hobbey saß an der Stirnseite des Tisches, Hugh und Dyrick auf der einen, David und Abigail auf der anderen Seite. Ich nahm den leeren Stuhl ein, neben Abigail. Der Steward stand hinter Sir Nicholas und präsidierte das Auftragen der Speisen durch die Bediensteten, deren Schritte
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