Der Pfeil der Rache
und Hirngespinste.«
Die Diener kamen wieder herein, um süße Näschereien und Zuckerwerk aufzutragen. Während wir speisten, bemerkte ich etwas Seltsames. Die Kerzen schienen zu flackern und die Flammen kleiner zu werden. Da fiel mir auf, dass zahllose Motten sie umschwirrten. Sie versengten sich die armen Flügelchen in den Flammen, fielen zu Boden und starben, woraufhin noch mehr Motten ihren Platz einnahmen. »Irgendein tölpischer Diener hat ein Fenster offen gelassen«, sagte Abigail.
Hobbey blickte neugierig auf die Kerzen. »Ich habe niemals so viele Motten gesehen wie in diesem Sommer. Es muss etwas mit dem eigenartigen Wetter zu tun haben, das wir im Juni hatten.«
Dyrick blickte Hobbey an, dann mich. »Nun, Sir Nicholas, ein köstliches Mahl. Aber vielleicht sollten wir jetzt über die Angelegenheit sprechen, die uns zu Euch führt.«
»Ja«, stimmte Hobbey zu. »Abigail, David, Hugh, lasst uns allein.«
»Sollte Hugh nicht lieber bleiben?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete Dyrick mit Nachdruck. »Er ist noch ein Knabe, und was wir zu bereden haben, ist Männersache. Ihr werdet morgen noch Gelegenheit genug haben, mit ihm zu sprechen.«
Ich schaute zu Hugh hinüber. Seine Miene war teilnahmslos, als er aufstand und Abigail und David aus dem Saal begleitete. Als die Tür ins Schloss gefallen war, hörte ich, wie Abigail nach Lamkin rief. Fulstowe blieb, wo er war, hinter seinem Herrn, reglos wie ein Wachsoldat. »Ich möchte, dass Ambrose hierbleibt«, sagte Hobbey. »Er kümmert sich um meine Belange.«
»Gewiss«, stimmte ich zu.
Hobbey lehnte sich zurück. »Nun, Master Shardlake, das Ganze ist sehr eigenartig. Und im höchsten Maße beunruhigend für meine Familie. Meine Frau ist gesundheitlich sehr angeschlagen, seit die arme Emma starb.«
»Das tut mir leid.«
»Sie wollte schon immer eine Tochter.« Hugh, dachte ich, scheint ihr nicht sonderlich zugetan zu sein, nennt sie kalt und förmlich »Mistress«. Und David war äußerst garstig mit seiner Mutter verfahren.
»Und im Augenblick regt sie sich auf wegen der Jagd«, fügte Hobbey in leichterem Tonfall hinzu. »Wir veranstalten eine Jagd auf meinem Grund und Boden, Master Shardlake. Es wird ein Erlebnis, die erste Jagd in meinem neuen Wildpark.« Stolz schwang in seiner ruhigen Stimme wie vorhin, als er mir die Teppiche zeigte. »Sie sollte schon in dieser Woche stattfinden, doch wir haben sie auf den kommenden Montag verschoben, damit wir uns zunächst mit dieser Angelegenheit befassen können.« Er schüttelte den Kopf. »Und all dies nur, weil Michael Calfhill im vorigen Frühjahr aus heiterem Himmel bei uns einfiel.«
»Darf ich fragen, was damals geschehen ist? Ganz zwanglos?«
Hobbey sah Dyrick an, der nickte. »Es ist schnell erzählt«, sagte Hobbey. »Eines Nachmittags im April waren die Jungen mit ihren Bogen zugange. Seit dieser Krieg begann, haben sie nur noch ihre Bogen im Sinn. Ich befand mich im Studierzimmer, als ein Diener gelaufen kam und sagte, ein fremder Mann stünde draußen und würde auf Hugh einbrüllen. Ich rief nach Ambrose, und wir gingen hinaus. Zuerst erkannte ich Calfhill nicht, schließlich hatte ich ihn fünf Jahre nicht mehr gesehen. Er war völlig außer sich, flehte Hugh an, mit ihm fortzugehen. Er liebe ihn mehr als sonst jemanden in der Welt.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite, um mich vielsagend anzusehen, und wandte sich an Fulstowe. »Es war eigenartig, nicht wahr, Ambrose?«
Fulstowe nickte ernst. »Master David stand auch dabei und schaute ganz entsetzt drein.«
»Wie hat Hugh reagiert, Master Hobbey?«
»Er hatte Angst. Beide Knaben sagten später, dass Calfhill plötzlich auf dem alten Friedhof aufgetaucht sei.«
»Er muss sich dort versteckt haben«, fügte Fulstowe hinzu. »Die Gräber sind von Unkraut überwuchert.«
»Da seht Ihr es«, sagte Dyrick. »Michael Calfhill war ein verderbter Mensch. Wahrscheinlich hatte er schon jahrelang in Phantasien geschwelgt, was er am liebsten mit Hugh anstellen würde. Das hat ihm allmählich den Verstand geraubt.« Er schlug eine Motte tot, die auf den Tisch gefallen und dort herumgeflattert war und verzweifelt mit den versengten Flügelchen schlug. Er wischte den Fleck mit dem Sacktuch fort. »Verzeiht, Nicholas, doch das Tier hat mich geärgert. Nun, Bruder Shardlake, welche Zeugen wollt Ihr befragen?«
Ich wandte mich an Hobbey. »Ich hätte natürlich gern mit Hugh gesprochen, dann mit Euch und Eurer Gattin.«
Hobbey nickte.
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