Der Pfeil der Rache
Wachs versiegeln.
»Master Shardlake ist zu bescheiden«, sagte Dyrick. »Er löst zuweilen sogar Fälle für die Königin.« Er blickte Hobbey vielsagend an. »Wie ich Euch in meinem Brief berichtet habe.«
Hobbey sagte gewandt: »Wollen wir ins Haus gehen? Meine Frau verträgt die Sonne nicht.«
* * *
Wir traten durch die einstige Kirchenpforte ins Haus. Im Innern herrschte ein seltsamer Geruch, nach Staub und frisch geschlagenem Holz, in den sich ein schwacher Hauch von Weihrauch mengte. Im südlichen Querschiff führte eine breite Treppe zu den alten Klostergebäuden, während das einstige Mittelschiff in einen eindrucksvollen Großen Saal verwandelt und das alte Hammerbalkengewölbe freigelegt worden war. Die Wände waren mit Teppichen geschmückt, auf denen Jagdszenen abgebildet waren. Die alten Fenster waren durch moderne Flügelfenster ersetzt und mit neuen ergänzt worden, so dass viel Licht in den Saal gelangte. In einem Kabinett gewahrte ich Schalen aus venezianischem Glas, und allenthalben standen Vasen mit kunstvoll arrangierten Blumen. Am hinteren Ende des Saals jedoch prangte noch immer das alte Ostfenster, ein riesiges Halbrund, dessen alte Buntglasscheiben Heilige und Apostel zeigten. Darunter war über eine lange Tafel ein türkisches Tuch gebreitet. Eine ältere Magd war im Begriff, die Teller aufzutragen. Ein Kamin war an einer Wand errichtet worden. Der Umbau hatte zweifellos viel Zeit und Geld in Anspruch genommen, allein die Wandteppiche waren von beträchtlichem Wert.
»Ihr habt viel geschafft, seit ich das letzte Mal hier war, Nicholas«, stellte Dyrick bewundernd fest.
»O ja«, antwortete Hobbey mit seiner ruhigen Stimme. »Das Glas im Ostfenster muss noch ausgetauscht werden, ansonsten ist alles getan, bis auf den elenden Nonnenfriedhof.«
»Ich habe die Grabsteine gesehen, am hinteren Ende des Gartens«, sagte ich, »unweit des Zielhügels.«
»Die Einheimischen wollen sie nicht niederreißen. Nicht für alles Geld der Welt.« Er schüttelte den Kopf. »Abergläubisches Pack.«
»Aufgehetzt von Ettis, dem Schurken«, bemerkte Abigail bitter. Ich blickte sie an; sie schien gespannt wie ein Bogen, die ineinander verkrallten Finger zitterten leicht.
»Ich lasse jemanden aus Portsmouth kommen, meine Liebe, sobald sich die Lage dort ein wenig entspannt hat«, antwortete Hobbey beschwichtigend. »Wie ich sehe, bewundert Ihr meine Teppiche, Master Shardlake.« Er trat an die Wand, gefolgt von Dyrick und mir. Die Teppiche waren außergewöhnlich fein gewirkt, wobei eine Abfolge von vieren eine Jagdszene ergab. Das Wildbret war ein Einhorn, aufgeschreckt aus seinem Waldversteck im ersten Teppich, im zweiten und dritten von Reitern gejagt, während es im letzten, der alten Legende gemäß, auf eine Lichtung gelangt war und sein Haupt in den Schoß einer Jungfrau legte, die da saß und zurückhaltend lächelte. Doch ihr Gebaren war eine Falle, denn zwischen den Bäumen um die Laube standen Schützen mit gespannten Bogen. Ich bestaunte die komplizierte Gobelinstickerei und die wunderbaren Farben.
»Sie stammen aus deutschen Landen«, sagte Hobbey stolz. »Ich trieb viel Handel entlang des Rheins und konnte sie zu einem guten Preis erstehen. Sie gehörten einem Kaufmann, der in den Bauernkriegen Hab und Gut verlor. Sie sind mein ganzer Stolz und meine Freude, so wie meiner Gemahlin der Garten am Herzen liegt.« Er strich mit der Hand fast ehrerbietig über den Kopf des Einhorns. »Ihr solltet sehen, wie die Dorfleute, wenn sie zum Gerichtstag kommen, meine Teppiche bestaunen. Sie starren auf die Gestalten, als könnten diese gleich auf sie herabspringen.«
Die beiden Knaben gesellten sich zu uns, und David betrachtete sinnend die Bogenschützen, die im Begriff waren, das Einhorn zu erlegen. »Auf diese Entfernung können sie ihr Ziel kaum verfehlen«, sagte er wegwerfend. »Ein Reh ließe einen niemals so nah an sich heranpirschen.«
Ich entsann mich der Schwielen an Hughs und Davids Händen. »Übt ihr Burschen euch draußen im Bogenschießen?«
»Jeden Tag«, antwortete David stolz. »Es ist unser liebster Zeitvertreib, noch vor der Beizjagd. Die beste aller männlichen Zerstreuungen, nicht wahr, Hugh?« Er schlug Hugh auf die Schulter, ein wenig grob, wie ich fand. Ich bemerkte eine unterdrückte Bangigkeit in Davids Gebaren. Seine Mutter maß ihn mit scharfem Blick.
»In der Tat.« Hughs Miene war schwer zu deuten. »Ich besitze ein Exemplar von Meister Aschams neu erschienenem
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