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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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um Euer Wohlergehen.«
    Seine unergründlichen blaugrünen Augen kreuzten die meinen. »Ich sagte es Euch schon gestern, Sir, ich habe keinerlei Klagen.«
    »Bevor ich London verließ, gab mir Bess Calfhill etwas für Euch. Mistress Hobbey hatte es Michael geschenkt. Es gehörte deiner Schwester.« Ich öffnete die Hand und zeigte ihm das Kreuzlein. Sofort traten ihm die Tränen in die Augen. Er wandte den Blick ab.
    »Er hatte es bis zu seinem Tod?«, fragte Hugh mit heiserer Stimme.
    »Genau.« Ich legte das Kreuz neben ihn aufs Bett. Hugh griff danach. Er holte ein Schnupftuch heraus, wischte sich die Tränen fort und sah mich an.
    »Mistress Calfhill erinnert sich an meine Schwester?«
    »Mit viel Wärme.«
    Er schwieg kurz, umschloss das Kreuzlein fest mit seiner Faust. Dann fragte er: »Wie ist es in London jetzt? Ich bin schon so lange hier. Ich erinnere mich an wenig mehr als den Lärm, weil die Leute auf den Straßen unentwegt schrien, und an die Ruhe unseres kleinen Gartens.« Wieder spürte ich jenen Überdruss an ihm, den ein Knabe seines Alters nicht empfinden sollte.
    »Wenn Ihr die Universität besuchen würdet, Hugh, dann könntet Ihr Gleichaltrige kennenlernen und von früh bis spät über Bücher sprechen. Master Hobbey muss dafür sorgen, dass Ihr gehen könnt.«
    Er blickte auf, lächelte verhalten und zitierte: »Beim Studium ist jeder Teil des Leibes untätig. Dergleichen ist träge und bringt kalte Säfte hervor.«
    »Der
Toxophilus

    »Jawohl. Ich möchte nicht studieren, sondern in die Schlacht ziehen. Meine Treffsicherheit zum Einsatz bringen.«
    »Ich muss Master Hobbey recht geben, wenn er Euch davon abhält.«
    »Falls Ihr am Freitag nach Portsmouth reitet, werdet Ihr dann auch Euren Freund treffen, den Kommandanten der Bogenschützen?«
    »Ich hoffe es.«
    »David und ich begleiten Euch. Wir wollen die Schiffe und Soldaten sehen. Waren auch Burschen meines Alters unter den Bogenschützen? Ich habe etliche Truppen gen Portsmouth marschieren sehen, und einige Soldaten sahen keineswegs älter aus als ich.«
    Ich dachte an Tom Lewellyn. »Der jüngste Rekrut, den ich sah, Master Hugh, war etwa ein Jahr älter als Ihr. Ein kräftig gebauter Bursche.«
    »Ich bin kräftig und auch tüchtig genug, wie ich meine, um einen Pfeil einem Franzmann ins Herz zu jagen. Pest und Pocken über sie!« Er sprach voller Leidenschaft. Ich sah wohl überrascht drein, denn er errötete und senkte den Blick, rieb sich eines der kleinen Muttermale in seinem Gesicht. Plötzlich erschien mir der Junge im höchsten Grade verwundbar. Er sah wieder auf. »Sagt mir doch, Sir, ist Master Dyrick Euer Freund? Es heißt, Rechtsanwälte würden sich zwar vor Gericht streiten, seien aber außerhalb die besten Freunde.«
    »Manchmal ist dem auch so. Aber Master Dyrick und ich – nein, wir sind keine Freunde.«
    Er nickte. »Gut. Ich mag ihn nämlich nicht. Doch oftmals im Leben müssen wir unsere Zeit mit Menschen verbringen, die uns keine Freunde sind, nicht?« Er stieß ein bitteres Lachen aus und sagte: »Die Zeit vergeht, Sir. Ich darf Euch nicht aufhalten.«
    »Wenn ich wiederkomme, sprechen wir über den
Toxophilus
und die übrigen Bücher.«
    Er blickte auf, hatte die Fassung wiedererlangt. »Ja, vielleicht.«
    »Ich freue mich darauf.«
    Ich verließ ihn, während er noch immer Emmas Kreuzlein in der Hand hielt.
    * * *
    Während ich so dahinritt, kam es mir in den Sinn, dass Abigail behauptet hatte, sie fühle sich nicht sicher bei dieser Jagd. Ihr Mann hatte dagegengehalten, er könne die Einsamkeit nicht mehr ertragen. Wovor hatten die beiden Angst? Und gab es einen Zusammenhang mit dem Angriff auf uns? Was auch immer es war, das man in Hoyland vor uns zu verbergen suchte, so war ich doch gewiss, dass Hugh zumindest teilweise Bescheid wusste. Dann gab es noch den Verdruss mit den Dorfleuten. Die Kette der Ereignisse in Hoyland, überlegte ich, war typisch für einen Gutsherrn, der danach trachtete, ein Dorf zu zerstören und dessen Land für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Ich war diesem Muster schon viele Male begegnet am Court of Requests, dem Gericht für Armenklagen. Auch die Dorfpolitik war typisch; freie Bauern wie Ettis übernahmen die Führung, während einige der armen Dörfler sich, gänzlich eingeschüchtert, genötigt sahen, ihre Pachten wieder an den Gutsherrn zu verkaufen.
    Als ich die Abbiegung nach Rolfswood erreichte, stand die Sonne bereits hoch, und es wurde heiß. Ich hatte einen armseligen

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