Der Pfeil der Rache
oder nur David?, fragte ich mich.
Abigails kummervolles Geheul verstummte jäh. Sie ballte die Fäuste und stapfte über den Rasen, wobei der Saum ihres Gewands auf dem Gras ein zischelndes Geräusch hervorbrachte. David wich zurück, als Abigail die Fäuste gegen ihn erhob und auf seinen Kopf einzudreschen begann. Sie schrie: »Du gemeiner, mieser Schuft! Du Ungeheuer! Warum quälst du mich so? Du bist ja gar kein normaler Mensch!«
David hob die Arme, um sein Gesicht zu schützen. Hugh kam herbei und versuchte, Abigail fortzuziehen, aber sie schlug seinen Arm fort. »Weg mit dir!«, schrie sie. »Auch du bist wider die Natur!«
»Abigail!«, rief Hobbey. »In Gottes Namen, schweig! Es war ein Unfall!« Er zitterte. Ich wechselte einen Blick mit Dyrick. Ausnahmsweise befanden wir uns in derselben Lage, wussten nicht, ob wir einschreiten sollten.
Abigail wandte sich uns zu. Ich habe selten so viel Wut und Verzweiflung in einem menschlichen Gesicht gesehen. »Du Narr, Nicholas!«, brüllte sie. »Er hat die Leine absichtlich losgelassen, der gemeine Schuft! Ich habe genug, genug von euch allen! Ihr werdet mir nicht länger die Schuld geben!«
Fulstowe trat geschwind auf Abigail zu und fasste sie am Arm. Da fuhr sie herum und schlug ihm heftig ins Gesicht. »Hände weg von mir, Knecht!«
Hobbey war dem Steward gefolgt. Er ergriff Abigails zweiten Arm. »Beruhige dich, Weib, in Gottes Namen, so beruhige dich doch!«
»Lasst mich los!« Abigail wehrte sich wild. Die Haube rutschte ihr vom Kopf, und das lange graublonde Haar fiel ihr lose auf die Schultern. David stand mit dem Rücken an einem Baum. Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte wie ein Kind.
Plötzlich sackte Abigail zwischen Nicholas und Fulstowe zusammen. Sie ließen sie los. Sie hob das rote, tränennasse Gesicht und sah mich geradewegs an. »Ein Narr seid Ihr!«, schrie sie. »Ihr seid doch selbst mit sehenden Augen blind!« Die Stimme versagte ihr. Sie blickte Fulstowe und ihren Ehemann an, dann Hugh und den weinenden David. »Möge Gott Euch allen Kummer und Schande bringen!«, rief sie aus, kehrte ihnen den Rücken und lief an Dyrick und mir vorbei ins Haus. Hinter jedem Fenster stand ein Diener. Hobbey trat auf David zu. Der Knabe stürzte in seine Arme. »Vater!«, ächzte er.
Hugh blickte ausdruckslos auf die Windhunde, die sich mit roten Schnauzen knurrend um einen Fetzen blutigen Fells balgten.
teil vier
portsmouth
kapitel vierundzwanzig
E ine Stunde später saß ich in Baraks Zimmer.
»Es war doch nur ein Schoßhund«, sagte er. »Seid Ihr sicher, dass es kein Unfall war?«
»Du hättest Davids Grinsen sehen sollen, als er die Leine losließ. Abigail ist seine Mutter, und doch hasst er sie, wie es den Anschein hat. Hugh hingegen begegnet ihr mit Gleichgültigkeit.«
»Auch Hughs Hund hat den Spaniel angegriffen.«
»Er hat sich wirklich losgerissen. Abigail war vernarrt in dieses Hündchen. Etwas Schlimmeres hätte David ihr nicht antun können. Aber was hat Abigail gemeint, als sie mich einen Narren schalt, der auch mit sehenden Augen blind sei.
Was
kann ich nicht sehen?«
Barak überlegte. »Hat es etwas mit Fulstowe zu tun? Er tut ja gerade so, als sei er der Herr im Hause.«
»Wie auch immer, Dyrick hat ebenso wenig Ahnung wie wir. Er schien mir baß erstaunt zu sein über Abigails Aussage. Was um alles in der Welt geht hier vor?« Ich raufte mir das Haar, als könne ich aus meinem müden Hirn eine Antwort zerren, und erhob mich dann seufzend. »Zeit zum Nachtmahl. Das kann heiter werden!«
»Ich bin froh, dass wir morgen aufbrechen. Auch wenn es nur nach Portsmouth geht.«
Ich ließ ihn allein und begab mich wieder ins Haus. Die Sonne versank gerade hinter dem hohen neuen Schornstein des einstigen Klosters. Ein Diener entfernte unter Fulstowes Aufsicht mit einem Lumpen Lamkins Blut aus dem Gras, damit seine Herrin es nicht zu Gesicht bekäme. Der Steward kam zu mir herüber.
»Master Shardlake. Ich wollte gerade nach Euch suchen. Master Hobbey bittet Euch in sein Studierzimmer.«
* * *
Hobbey saß düster und bleich an seinem Schreibtisch. Er hatte sein Stundenglas umgedreht und beobachtete, wie der Sand in den unteren Glaskolben rieselte. Dyrick saß ihm stirnrunzelnd gegenüber. Ich nahm an, die beiden hatten sich beraten. Das Ergebnis, wie immer es ausgefallen war, bereitete Dyrick sichtlich Unbehagen. Zum ersten Mal sah ich Furcht in seinem Gesicht.
»Bitte setzt Euch, Master Shardlake, ich möchte Euch
Weitere Kostenlose Bücher