Der Pfeil der Rache
gewesen.
»Tja. Der König hat ihn in den Süden geschickt, damit er dort die Armeen inspiziere. Er ist hier, um vor dem Geheimen Kronrat Bericht zu erstatten.«
»Zum Glück hat die Königin treue Freunde wie Euch«, sagte ich ehrlich.
»O ja, wir geben acht auf sie. Jemand muss sich ja um die politischen Belange kümmern«, fügte er grollend hinzu.
* * *
Ich trat hinaus in den sonnenbeschienenen Palasthof. Die astronomische Uhr über dem Torbogen gegenüber zeigte zwei Uhr an. Die roten Backsteingebäude warfen kaum Schatten über den Hof; die Pflastersteine glänzten in der Hitze. Wieder trat mir prickelnder Schweiß auf die Stirn. Ein Kurier in königlicher Livree ritt eilig über den Hof und durch den Torbogen, vielleicht mit einer Botschaft für die militärischen Befehlshaber.
Da gewahrte ich zwei Männer, die im Eingang standen und zu mir herüberstarrten. Ich erkannte beide, und mir sank der Mut. Der eine war Sir Thomas Seymour. Er trug ein leuchtend gelbes Wams, schwarze Strümpfe an den langen, wohlgeformten Beinen, und sein gutaussehendes Gesicht über dem dunkelroten Bart hatte noch immer denselben harten, hämischen Ausdruck, wie ich ihn in Erinnerung hatte. In einer Pose vornehmer Überheblichkeit stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt, in derselben Haltung, in welcher Holbein den König verewigt hatte. Neben ihm stand, klein und schmuck in seiner Anwaltsrobe, Sir Richard Rich, auch er ein Mitglied im Kronrat und dem König in den vergangenen zehn Jahren in den schmutzigsten Staatsgeschäften ein williges Werkzeug. Ich wusste, dass Sir Richard mit der finanziellen Koordination für den Angriff auf Frankreich im Jahr zuvor betraut gewesen und angeblich beim König in Ungnade gefallen war, weil er sich die eigenen Taschen allzu prall gefüllt hatte.
Die beiden sagten kein Wort, rührten sich nicht vom Fleck, beäugten mich nur, Seymour verächtlich und Rich mit der gewohnten Kälte. Sie wussten, dass ein Mann meines Standes sie nicht kurzerhand übersehen konnte. Ich zog also die Kappe vom Kopf und trat auf sie zu, mit Mühe das Zittern in den Knien verbergend. Ich verneigte mich tief.
Seymour redete als Erster. »Master Shardlake. Wir sind uns lange nicht begegnet. Ich dachte, Ihr wäret wieder bei Gericht.« Er grinste boshaft und untermalte seine Worte mit einer übertrieben ausladenden Geste. »Scheffelt Gold mit dem Gezänk armseliger Narren, während die wahren Helden kämpfen, um unser England vor dem Feinde zu bewahren.« Er maß mich von Kopf bis Fuß und reckte gar eigens den Hals, um meinen Buckel zu beäugen.
»Gott hat mir Grenzen gesetzt.«
Er lachte. »Wie wahr, wie wahr.«
Ich entgegnete nichts, wohl wissend, dass Seymour es bald müde wäre, meiner zu spotten, und mich gehen ließe. Doch da ergriff Rich das Wort, sprach ruhig, mit eindringlicher Stimme: »Was habt Ihr hier zu schaffen? Dass Ihr Euch überhaupt noch in die Nähe des Königlichen Hofes wagt. Nach dem letzten Mal.«
Damals hatte er mich zu Unrecht beschuldigt und in den Tower werfen lassen, nur um einen Prozess gegen mich zu gewinnen. Rich war für den Court of Augmentations verantwortlich gewesen, der all das Klosterland verwahrte, welches der König hatte beschlagnahmen lassen. Ich hatte einen Fall für die Stadt London übernommen, und hätte ich ihn gewonnen, wäre der Wert einiger Gebäude empfindlich geschmälert worden. Rich hatte mich mit Hilfe falscher Zeugen des Hochverrats bezichtigt und in den Kerker gebracht. Er hätte mit Freuden meiner Hinrichtung beigewohnt, aber die Vorwürfe gegen mich hatten sich als unhaltbar erwiesen. Dennoch hatten die Ratsherren klein beigegeben und die Klage zurückgezogen.
Ich beschwor meine Knie, nicht zu schlottern. »Ich habe rechtliche Angelegenheiten zu klären, Sir Richard. Für Amtsbruder Warner.«
»Den Anwalt der Königin. Ich hoffe, sie lässt Euch keine Ketzer verteidigen, wie Warner im vorigen Jahr.«
»Nein, Sir Richard. Eine zivilrechtliche Angelegenheit. Für eine frühere Magd der Königin.«
»Welches Gericht?«
»Wards.«
Da lachten beide, Seymour bellend, Rich keckernd. »Dann viel Vergnügen«, sagte Rich.
»Hoffentlich ist Euer Beutel prall gefüllt, für die Beamten«, lachte Seymour. »Ihr werdet ihn brauchen.«
Diese Bemerkung hätte seitens Sir Richards eine Rüge verdient; schließlich war er Jurist bei Hofe, und der Vorwurf der Bestechlichkeit war in diesem Zusammenhang eigentlich tabu. Rich jedoch grinste nur säuerlich.
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