Der Pfeil der Rache
nahelegen, meinte sie, dass die Anhörung am kommenden Montag auf jeden Fall stattfinden müsse, auch wenn Calfhill mittlerweile verstorben sei. Es sei ihr ausdrücklicher Wunsch, im Interesse der Gerechtigkeit. Er wird Sir William davon in Kenntnis setzen, was diesen davon abhalten dürfte, den Fall zu den Akten zu legen. Paulet ist einer, dem der politische Nutzen über alles geht – er würde es nicht wagen, die Königin gegen sich aufzubringen.«
Warner sah mich mit ernster Miene an und strich sich dabei über den langen Bart. »Aber weiter können wir nicht gehen, Bruder Shardlake. Wir dürfen die Verbindung mit der Königin nicht überstrapazieren. Schließlich wissen wir nicht, was der Sache zugrunde liegt. Falls Michael Calfhill, was ich nicht glaube, tatsächlich auf einen Skandal gestoßen ist, dann sollte die Königin, zumindest vor der Öffentlichkeit, nicht darin verwickelt sein.«
»Verstehe.« Ich respektierte Warner. Er beriet den Hof seit über zwanzig Jahren in Rechtsdingen, seit der Zeit Katharinas von Aragon, und ich wusste, dass er Catherine Parr sehr zugetan war, wie die meisten Menschen in ihren Diensten.
»Ihr habt eine schwere Pflicht auf Euch genommen«, sagte er mitfühlend. »Nur noch fünf Tage bis zur Anhörung und abgesehen von Mistress Calfhill keine Zeugen.«
»Nach dem Ende der Sitzungsperiode habe ich Zeit.«
Er nickte bedächtig. »Der Court of Wards tagt weiter. Es gibt Vormundschaften und Vermögen zu ergattern.« Wie jeder rechtschaffene Anwalt sprach er verächtlich über diesen Gerichtshof.
»Wenn es Zeugen gibt, finde ich sie«, sagte ich ihm. »Da wäre schon einmal dieser Pfarrer, der Michael vor sechs Jahren unterstützte. Mein Schreiber hilft mir, er ist versiert in solchen Dingen. Aber als Erstes gehe ich zum Court of Wards. Ich will herausfinden, was es mit Michaels Klage für eine Bewandtnis hat.«
»Ihr müsst außerdem mit Dyrick sprechen.«
»Sobald ich die Akten eingesehen und mögliche Zeugen aufgespürt habe.«
»Ich kenne Dyrick«, sagte Warner. Die Welt der Juristen Londons war klein, jeder kannte jeden zumindest vom Hörensagen. »Ein starker Gegner. Zweifellos wird er behaupten, der Fall basiere auf den haltlosen Anwürfen eines Geisteskranken.«
»Aus diesem Grund möchte ich herausfinden, wie die Dinge stehen, ehe ich ihn aufsuche. Was haltet Ihr übrigens von Mistress Calfhill?«
»Sie trauert um ihren Sohn, ist verstört, braucht womöglich einen Sündenbock. Aber Ihr werdet die Wahrheit ergründen, ganz gewiss.« Er lächelte traurig. »Ihr hattet befürchtet, es könne sich um eine politische Angelegenheit handeln. Es stand Euch auf der Stirn geschrieben, als Ihr kamt.«
»Ja, Bruder Warner, ich gebe es zu.«
»Die Königin hält, was sie verspricht, Bruder Shardlake«, erwiderte er mit leisem Vorwurf. »Und sie ist jederzeit bereit, einer alten Magd in der Not zu helfen.«
»Ich weiß. Ich hätte Vertrauen haben müssen.«
»Ihre Majestät hält alte Freunde in Ehren, wie schon unsere erste Königin.«
»Katharina von Aragon.«
»O ja. Eine liebenswürdige Dame. Trotz gewisser Fehler.«
Ich lächelte. »Ihr katholischer Glaube.«
Seine Miene war ernst. »Unter anderem. Aber lasst nur, ich habe schon zu viel gesagt. Über Politik zu sprechen ist nach wie vor gefährlich, auch wenn die Mächtigen des Reichs im Augenblick keine Zeit haben für Intrigen. Hertford, Norfolk, Gardiner – allesamt fort, in militärischer Mission. Doch wenn wir diesen Krieg erst einmal hinter uns gebracht haben, beginnt alles wieder von neuem. Die Katholiken haben nicht viel übrig für Königin Catherine. Wisst Ihr übrigens, dass sie ein Buch geschrieben hat?«
»
Gebete und Meditationen?
Ja, sie hat mir vorigen Monat ein Exemplar zugesandt.«
Er blickte mich erwartungsvoll an. »Und was haltet Ihr davon?«
»Ich ahnte nicht, dass sie so viel Traurigkeit im Herzen trägt. All diese Gebete, die uns beschwören, das Leid in dieser Welt zu erdulden und fest auf das Heil im Jenseits zu hoffen.«
»Ihre Freunde mussten ihr raten, auf gewisse Passagen – die allzusehr an Luther gemahnen – zu verzichten. Zum Glück hörte sie auf uns. Sie lässt stets Umsicht walten. Heute zum Beispiel bleibt sie in ihren Gemächern, weil Sir Thomas Seymour am Hofe weilt.«
»Dieser Rüpel«, sagte ich aus tiefstem Herzen. Ich war Seymour in den Monaten begegnet, da der König um Catherine Parr gefreit hatte; diese war damals eher dem schneidigen Seymour zugetan
Weitere Kostenlose Bücher