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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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mein Mund war ebenso trocken wie der Knebel darin.
    Ich döste wieder ein und hatte einen Traum: Ich ritt mit den Soldaten durch Hampshire, auf grünen, stollenartigen Feldwegen. Ich befand mich an der Spitze der Kompanie, neben Leacon. Plötzlich wandte er sich um und sagte: »Wer ist das?« Ich folgte seinem Blick und sah, dass einige der Soldaten, die ich kannte, Carswell, Llewellyn, Pygeon und Sulyard, eine Bahre trugen, auf der in einem weißen Totenhemd ein Leichnam lag. Es war Ellen.
    Ich fuhr auf. Irgendwo rief eine Stimme: »Schnell!« Andere Geräusche waren über mir zu hören, Schritte, Pfiffe, trappende Füße, und obwohl ich nur raten konnte, schloss ich daraus, dass der Morgen graute. Jemand rief die Besatzung an ihre Posten. Ich bemerkte mit Erleichterung, dass sich auch das Kanonendeck allmählich belebte. Die Männer würden vermutlich den ganzen Tag über hierbleiben und West daran hindern, mir den Garaus zu machen. Sein Auftrag an Land und die Wachen an den Kanonen hatten dazu geführt, dass er in dieser Nacht keine Gelegenheit gefunden hatte, mich zu ermorden.
    Ich vernahm Pfiffe, alsdann ein stetes Dröhnen, das die Planken meines Gefängnisses erzittern ließ. Schließlich noch ein Pfiff und vielfaches Gerumpel. Es hörte sich an, als seien die Geschützpforten geöffnet und die Kanonen vor- und zurückgeschoben worden. Eine Übung? Vermutlich, denn es geschah mehrmals hintereinander. Den Geräuschen nach zu schließen, war die gesamte Besatzung auf den Beinen. Ich versuchte, auszumachen, was gesagt wurde, erhaschte aber nur Wortfetzen.
    Es war mir unmöglich zu erahnen, wie viel Zeit schon verstrichen war. Der Raum, der in der Nacht ein wenig abgekühlt war, wurde wieder brütend heiß, und der Gestank von fauligem Fleisch noch intensiver. Irgendwann hörte ich in der Ferne Kanonenschüsse, ob von unseren Schiffen oder den französischen Galeeren, vermochte ich nicht zu sagen. Einmal ertönte lauter Jubel über mir, jemand rief aus: »Getroffen!« Dann neuerliche Kanonenschläge, zuweilen ganz nah, dann wieder weit entfernt. Nach einem Schuss verspürte ich eine dumpfe Erschütterung, und draußen brüllte einer: »Sind wir getroffen?« Dann hörte ich, wie etliche Männer die Leiter herunterstiegen, bis zum unteren Deck. Ich vermeinte das Wort »Pumpen!« zu hören, und das Herz schlug mir bis zum Hals bei der Vorstellung, in dieser Enge gefangen zu sein, sollte das Schiff sinken, doch dann tat sich nichts mehr. Mir war übel, und trotz der Schmerzen, welche die Anstrengung meinen gefesselten Armen bereitete, beugte ich den Kopf so weit wie möglich nach vorne, denn sollte ich mich mit dem Knebel im Mund übergeben müssen, würde ich ersticken. Da vernahm ich ein Klopfen an der Tür, vorsichtig, zögernd, und eine Stimme rief: »Matthew?« Es war Leacon.
    Eine Woge der Erleichterung überkam mich. Ich versuchte, mich zu regen, trotz der Schmerzen, die durch meinen Körper zuckten, voller Furcht, er könne weggehen. Und so gelang es mir, mit den gefesselten Hacken über den Boden zu schaben. »Matthew?«, rief er erneut. Er hatte mich gehört. Wieder scharrte ich mit den Hacken. Einen Augenblick blieb es still, dann folgte eine Erschütterung, Leacon hatte sich gegen die Tür geworfen. Jemand draußen rief: »He da!«
    »Hier drin ist jemand eingesperrt!« Gleich darauf gab das dünne Holz krachend nach, ein Lichtstrahl drang zu mir herein und blendete mich.
    Die Stimme draußen rief erneut: »Was in drei Teufels Namen geht hier vor, Mann?«
    Leacon spähte ungläubig durch die Öffnung zu mir herein. »Hier drin ist ein Zivilist!«, rief er zurück. Er warf sich erneut gegen die Tür und schuf eine Öffnung, die groß genug war, um ihn einzulassen. Der andere Offizier kam herzu und starrte mich mit großen Augen an.
    »Teufel auch! Kennt Ihr ihn?«
    »Ja, er ist ein Freund.«
    »Beim Blute Gottes! Wer zum Teufel hat ihn hier gefesselt? Bindet ihn los«, befahl der Offizier barsch. »Und schafft ihn gefälligst vom Kanonendeck!«
    Leacon kam zu mir herein. Er nahm den Dolch zur Hand, durchschnitt meine Fesseln und entfernte den Knebel. Ich sank auf den Rücken und stöhnte, sog gierig die Luft ein, zu keiner Regung fähig.
    »Herrjesus, wer hat Euch das angetan?« Leacons Gesicht war müde, schmutzig, schweißüberströmt. Er trug seinen Helm, einen gesteppten Waffenrock und das Offiziersschwert.
    »Philip West.« Meine Stimme kam als Krächzen. »Ich habe – etwas – über ihn –

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