Der Pfeil der Rache
zurückkehren.«
»Muss ich das wirklich selbst übernehmen?«
»Ihr sollt die Verhandlungen führen. Jetzt sofort.«
Ich hörte, wie die Schritte des Proviantmeisters sich entfernten, gleich darauf ging die Tür wieder auf. »Habt Ihr gehört?«, fragte West.
»Jawohl.« Peel versetzte mir einen gemeinen Tritt gegen das Schienbein. »Ihr seid offenbar bis zuletzt ein Ärgernis, nicht wahr?«
»Hört zu«, sagte West eindringlich zu Peel. »Ihr müsst vom Schiff, die Leute fragen sich sonst, wer jener Fährmann gewesen ist. Ich kümmere mich später um Shardlake. Ich muss jetzt los. Wenn ich wieder zurück bin, warte ich, bis es ruhig geworden ist, für gewöhnlich so gegen drei Uhr früh, töte ihn dann und stoße ihn aus einer der Geschützpforten.« West blickte auf mich herab. Sein Gesicht war angstverzerrt, und ich erkannte, dass er im Gegensatz zu Peel kein kaltblütiger Mörder war. Aber ich wusste auch, dass er mich trotzdem töten würde. Er war ein Mann, dem es ausschließlich um die eigene Ehre zu tun war, wie Rich gesagt hatte. Er würde für seine Eitelkeit sterben und auch dafür morden.
* * *
Ich blieb in vollkommener Dunkelheit zurück. Ich vernahm, schwach, Schritte und Stimmengemurmel vom Heckkastell über mir, den Pfiff eines Offiziers. Leacon und seine Männer sind dort oben, dachte ich, und Emma auch. Jetzt konnte ich sie nicht mehr von Bord holen. Ich lag hilflos auf dem Boden. Der Gestank aus dem Fass hinter mir war entsetzlich. Wilder Zorn auf West und auf Rich, aber auch auf mich selbst wallte in mir auf. Mein zwanghaftes Forschen nach der Wahrheit über Ellen und Hugh hatte mich hierhergeführt. Und Ellen: Würde West sie auch in Zukunft noch vor Rich beschützen? Es wäre besser gewesen, ich hätte London nie verlassen.
Ich vernahm Schritte aus der Kabine nebenan, hatte aber keine Möglichkeit, mich bemerkbar zu machen. Ich versuchte, die Füße gegen den Boden zu schlagen, doch jede Bewegung versetzte mir einen schmerzhaften Stich in den Rücken. Außerdem war ich so fest verschnürt, dass mir allenfalls ein leichtes Scharren gelang, zu schwach, um nebenan bemerkt zu werden.
Nach einer Weile gewahrte ich über und unter mir kleine flackernde Lichtpunkte. Laternen, deren Schein durch die Ritzen zwischen den Planken drang. Die Nacht war hereingebrochen.
Der Gestank aus dem Fass mit dem verdorbenen Fleisch wurde schlimmer in der schwülheißen Luft. Zweimal näherten sich draußen Schritte, aber sie hielten nicht inne. Dann vernahm ich ein lautes Rumpeln, dazu Ächzen und Gemurmel: Jemand stieg die Leiter herunter, dachte ich. Ob West den Proviant geholt hatte? Ich hörte jemanden rufen: »Sollen wir sie in den kleinen Vorratsraum schaffen, Sir?«
Wests Stimme antwortete barsch: »Nein! Hinunter in die Kombüse damit.«
Der Lärm war noch eine Weile zu hören und verebbte dann. Nach einer Weile hörte ich wieder Wests Stimme, der verdrießlich fragte: »Was habt ihr drei hier zu suchen?«
Jemand aus Devon antwortete: »Wir sollen heute hier unten bei den Kanonen bleiben, Sir, und sicherstellen, dass sie allesamt festgezurrt sind, falls das Schiff ins Schlingern gerät. Befehl vom Schiffsmeister. Das Fass da ist randvoll mit Schwarzpulver, Sir.«
Es wurde still. Ich spürte fast, wie West draußen sich fragte, wie er diese Männer am besten loswerden konnte, um mich zu töten und von Bord zu stoßen. Da hörte ich zu meiner Erleichterung, wie seine Schritte sich entfernten.
Stunde um Stunde lag ich da, wobei ich mich unentwegt mühte, den gefesselten Leib zu bewegen, um die Schmerzen zu lindern, die mich plagten. Zugleich hegte ich die Befürchtung, West könne eine Möglichkeit gefunden haben, jene Seeleute loszuwerden, die auf dem Kanonendeck Wache hielten. Währenddessen kamen und gingen die fahlen, stecknadelkopfkleinen Lichtpunkte, und vom Deck über mir drangen gedämpfte Stimmen und gelegentlich Pfiffe zu mir herunter. Niemand an Bord der
Mary Rose
schien in jener Nacht viel Schlaf zu bekommen.
kapitel sechsundvierzig
D er Schmerzen ungeachtet fiel ich immer wieder in einen erschöpften Schlummer, aus dem mich stets unsanft Krämpfe in Rücken und Schultern rissen. Mehrere Male fuhr ich auf, als sich draußen Schritte näherten, doch stets entfernten sie sich wieder. Die Geräusche auf dem Schiff legten sich eine Weile; für die Dauer von ein oder zwei Stunden wurde es nahezu still, bis auf eine Glocke, die bei der Wachablösung läutete. Ich hatte entsetzlichen Durst,
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