Der Pfeil der Rache
auf, aus Gewinnsucht. Er hat es zugegeben. George, wenn ich Euch auf das Heckkastell begleiten darf, will ich es Euch beweisen.«
Er sah mich zweifelnd an. »Schafft Ihr es dort hinauf?«
»Ja. Wenn Ihr mir helft. Bitte.«
Er schaute mir in die Augen. »Ihr solltet besser gleich von Bord gehen. Einige Boote verkehren zwischen den Schiffen und dem Festland und überbringen Nachrichten.«
»Ich muss Emma Curteys mitnehmen. Nun bin ich, allen Widrigkeiten zum Trotz, bis hierher gekommen.«
Leacon warf noch einen Blick in meinen Kerker, schüttelte wieder den Kopf und sagte dann: »Kommt.«
»Noch einmal danke, George.«
Als ich aus der Tür ging, verfing sich meine Robe an einem Holzsplitter. Ich warf das schmutzige, verstaubte Ding von mir und riss mir auch die Haube vom Haupt. Im Hemd folgte ich Leacon auf das Kanonendeck. Da hörte ich Gefechtslärm. Es klang ganz nah.
* * *
Auf dem Kanonendeck hatten sich, im Hemd oder mit bloßer Brust, um jedes Geschütz ein halbes Dutzend Kanoniere postiert, bereit zum Gefecht. Die Stückpforten standen offen. Die Luft war zum Schneiden dick, roch nach ungewaschenen Leibern. Jeder Kanonier hatte den vorgegebenen Platz eingenommen: Der eine hielt eine lange Kelle; ein anderer ein hölzernes Zündeisen und eine glimmende Kerze, um das Pulver zu entzünden; ein dritter hatte eine eiserne Kanonenkugel neben sich. Die Meisterkanoniere standen an den Geschützen und beobachteten einen Offizier, der in Wams und Hose, das Schwert an der Hüfte und eine Trillerpfeife um den Hals, zwischen den Kanonen auf und ab schritt. Die Soldaten hatten müde, angespannte Gesichter. Der Offizier trat mit zorniger Miene vor uns hin. »Wer zum Teufel seid Ihr? Wer hat Euch hereingelassen?«
»Der stellvertretende Zahlmeister West. Er –«
Ein Pfiff ertönte von der Leiter. Der Offizier streckte den Arm aus, um uns festzuhalten. »Hiergeblieben! Wartet gefälligst!«
Der Pfiff war ein Signal gewesen. Der Offizier stieß ebenfalls in seine Trillerpfeife, und ich wurde Zeuge einer Gefechtsübung: Die Kanoniere gingen behend an die Arbeit, mit flinken, anmutigen Bewegungen. Die eisernen Kanonen wurden von hinten mit Kugeln beladen und die bronzenen, die zu diesem Zweck nach hinten gewuchtet worden waren, von vorne. Öffnungen auf den Oberseiten der Kanonen wurden mit Pulver gefüllt, und die bronzenen Kanonen wurden wieder nach vorne geschoben, bis die Stricke, die sie an den Wänden vertäuten, schlaff durchhingen. Die Bewegung ließ das Deck erzittern. Jeder Meisterkanonier platzierte die Lunte neben einem Loch am hinteren Ende seiner Kanone, in welches ein anderer aus einem Behältnis vorgeblich schon ein wenig Pulver zugefüllt hatte. Dann hielten sie inne und warteten eine halbe Minute wie zu einem Gemälde eingefroren, bis ein weiterer Pfiff ertönte. Die Kanonen wurden wieder eingefahren, die Kanonenkugeln herausgeholt, und alles nahm wieder die Ausgangsstellung ein. »Ausgezeichnet!«, rief der Offizier. »Wir bereiten ihnen einen heißen Empfang!« Er wies mit einer Bewegung des Kopfes auf uns. »Hinaus! Schnell!«
Wir eilten zwischen den Kanonieren hindurch. Einer der Männer, einen Zündstock in Händen, starrte mich entgeistert an, als wäre ich ein Gespenst. Er stand ohne Hemd da, hatte einen gedrungenen, von Narben übersäten, muskulösen Leib und ein kantiges, bärtiges Gesicht.
Wir hielten auf die Leiter zu. Unten sagte Leacon leise: »Schafft Ihr es nach oben?«
»Nach allem, was ich durchgemacht habe? Ganz gewiss.«
Ich stieg ihm nach, obwohl die Anstrengung mir stechende Schmerzen in den Schultern verursachte. Frische, salzige Luft wehte mir entgegen, nahm mir kurz den Atem. Leacon langte oben an und half mir hinauf. Wieder gewahrte ich durch das dichte Netz die hohen Masten, die in den blauen Himmel eines heißen Julitages ragten. Die Segel waren noch immer gerefft, doch an Deck und oben in der Takelage hatten Matrosen Stellung bezogen, bereit, sie auf Befehl zu hissen. An Deck tummelten sich mehr Männer denn je, und alle waren sie kampfbereit. Wie auf dem unteren Deck hatten auch hier die Kanoniere an den Geschützen Stellung bezogen. Die Hälfte der Lukenblenden stand offen, und ich gewahrte auf der einen Seite die
Great Harry
und die übrigen Kriegsschiffe, auf der anderen die Isle of Wight, von der mehrere Rauchsäulen aufstiegen.
Mein Blick schweifte über das Deck. An einigen offenen Luken waren Bogenschützen postiert, und unterhalb des Netzes hatten an die
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